Aus dem Spiel gefeuert - Warum wir Simulatoren spielen

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Die Arbeit. Essenz der Existenz und der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. In den letzten Jahren leiden jedoch immer mehr Menschen unter dem Druck bei ihrer Arbeit konstant Leistung  erbringen zu müssen und sich keinerlei ,Fehler zu erlauben. Das geht sogar so weit, dass wir stressbedingte Krankheiten wie Depressionen und Burnout erleiden und uns kaputt schuften. Umso verwunderlicher, dass diese Arbeitswut nicht im Büro endet, sondern vor dem PC oder der Konsole fortgesetzt wird.

Besonders die Subkultur der Simulatoren erfreut sich großer Beliebtheit. Man macht sich gerne über Simulatoren und über deren Spieler lustig - es ist ja auch ziemlich einfach. Aber so langsam scheint sich dieser Umstand zu ändern. Allein im Dezember landete der Landwirtschaftssimulator 19 mit über einer Million verkauften Exemplaren auf Platz 6 der bestverkauftesten Videospiele. Der Spieleforscher und Medienpsychologe Dr. Christian Roth erklärt sich den Erfolg folgendermaßen: „Ein Bauernhof ist für viele Menschen mit einer romantischen Vorstellung verbunden. Der Landwirtschafts-Simulator ist hierbei für „Städter” die einfachste Methode diese Vorstellung auszuleben.“

Aber auch weniger namhafte Simulationsableger haben alle etwas gemeinsam: Sie erteilen uns Aufgaben, die wir gutmütig verrichten. Quasi Arbeit in unserer Freizeit.

Simulationsspiele erschaffen ein Idealbild unser Arbeitswelt. Unsere Leistungen sind stets effizient, erfolgreich und der Ertrag messbar. Die Arbeit bereitet Freude und kann in ihrem Ausmaß bewältigt werden. Der Gamer wird zum allmächtigen Arbeitnehmer und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.

Die im Februar 2000 veröffentlichte Lebenssimulation „Die Sims“ ist ein Paradebeispiel dafür unser Leben virtuell abzubilden, indem wir unseren virtuellen Alter Ego in unserem Haus bespaßen dürfen. Wir richten ein, kaufen Klamotten und Nahrung und befriedigen unsere täglichen Bedürfnisse. Als besonders verantwortungsbewusster Sim gehen wir natürlich auch einer Arbeit nach. Danach suchen wir nach einem Partner für den Spaß zwischendurch oder das Leben. Das ähnelt dem wahren Leben in fast allen Belangen und könnte gerade deshalb das Erfolgskonzept sein.

Viele Spiele sind jedoch alles andere als eine Abwechslung vom gewöhnlichen Leben.

Und das ist so durchaus vom Entwickler gewollt. "Es geht nicht darum, den Spieler zu quälen oder zur Arbeit zu zwingen", erklärt Jesse Rapczak, Entwickler von Ark: Survival Evolved. "Aber wir möchten schon, dass sich jeder Fortschritt verdient anfühlt." Dementsprechend muss man im Dino-Epos Holz für Lagerfeuer, sowie Wasser und Nahrung sammeln, um weder zu verhungern, noch zu verdursten. Dadurch schafft das Survival Genre, ob gewollt oder ungewollt, eine Analogie zum Arbeitsalltag, dem wir beim Spielen zu entkommen versuchen.

Grinding, also das stupide wiederholen einer Tätigkeit, wird somit von der notwendigen Mechanik zur Essenz dieser Spiele erhoben. Kommt man als Spieler dieser nicht nach, bleibt man in vielen Spielen nicht nur forschrittslos, sondern stirbt im schlimmsten Fall. Er wird sozusagen wegen Arbeitsverweigerung aus dem Spiel gefeuert. Brenden Keogh, auf Videospiele spezialisierter australischer Medienwissenschaftler beschreibt dieses Vorgehen wie folgt: "Hier zeichnet sich das schlichte Grundmuster des kapitalistischen und ertragsorientierten Arbeitsmarktes ab. Der Spieler erhält Belohnungen für den Einsatz von Leistung. Wer nicht genug und rechtzeitig Leistung erbringt oder sich gegen das System stellt, der sitzt bald auf der Straße."

Auch in Kingdom Come Deliverance, das 2018 vom tschechischen Entwicklerstudio „Warhorse Studios“ veröffentlicht wurde, sieht der Ablauf nicht anders aus. In diesem müssen wir unser alltägliches Leben bestreiten. Neben den bekannten Aufgaben wie Botengängen müssen wir auf der Suche nach Essen durch die Wälder streifen und Tiere erlegen. Dabei wird unsere mittelalterliche Kluft auch mal dreckig und wir sollten sie schleunigst waschen. Denn treten wir Personen höheren Standes schmutzig und müffelnd gegenüber kann das Konsequenzen haben.

Unsere erbeuteten Felle, Fleisch und Schmuck können wir entweder beim nahegelegenen Händler verkaufen, oder uns neue Ausrüstung schmieden. Das ist simple Ökonomie: Arbeiten, Verwalten und Konsum!

Aber wie können Games uns unterhalten, die nichts anderes machen, als uns ihrem eintönigen Spielekosmos zu unterwerfen? Tatsächlich lässt sich wohl gerade damit die Anziehungskraft erklären", meint der US-Psychologe Jamie Madigan. "Unbewusst erkennen wir darin ein wohlbekanntes und sehr simples Muster."

Er ist der Überzeugung, dass die Spieler keine neuen oder abstrakten Regeln lernen müssen, weshalb das Hirn auf Autopilot schaltet. Dieser wähnt sich in einem sicheren und behaglichen Umfeld - anders als auf der Arbeit. Demzufolge verfallen Spieler des Landwirtschaftssimulators, Sims, Skyrim, oder anderen grindlastigen Spielen in eine Funktionslust, den sogenannten Flow, in dem sie beinahe meditativ die Stunden verbringen. Denn der Rhythmus von "Äcker pflügen, abernten, verkaufen" und "Monster metzeln und Beute abgreifen" spielt sich in einem mentalen Zwischenzustand ab, der nicht wirklich fordert, aber dennoch Konzentration braucht. Damit sind diese Games für viele zwar Arbeit, aber eine unerwartet befreiende und befriedigende.

 

Seit Jahren bekommt man in Open-World-Abenteuern und Rollenspielen immer mehr zu tun. Erkunden wir beispielsweise in The Elder Scrolls 5: Skyrim, Dragon Age: Inquisition oder The Witcher 3 ein unbekanntes Dorf, so bekommen wir ungefragt binnen Minuten ein halbes Dutzend Aufträge aufgeschwatzt. "Der Spieler soll das Gefühl bekommen, von den Menschen gebraucht zu werden", begründet Mike Laidlaw, leitender Designer von Dragon Age: Inquisition, die über 250 Nebenquests im Bioware-Rollenspiel. Die Spieler sollen ja etwas für ihr Geld bekommen. Wer jetzt glaubt, das sei lediglich ein Trend westlicher Spiele, der irrt sich gewaltig. Auch japanische Spieleentwickler bürden ihren Kunden Unmengen an Arbeit auf. Und das ganz bewusst: Designer Genki Yokota erklärte eines der Entwicklungsziele des Wii-U-Open-World-Rollenspiels Xenoblade Chronicles X gegenüber dem Wii-Original von 2010: "Wir diskutierten, die Zahl der Quests um 3000 Prozent zu erhöhen". Dabei hatte das schon über 400 Nebenmissionen und damit etwa 150 Stunden Spielzeit. Ganz so schlimm wurde es dann beim Nachfolger nicht. Wer Xenoblade Chronicles X mit all seinen Nebenquests durchspielen will, muss jedoch über 200 Stunden aufwenden.

Ähnlich wie in einer Heldenreise, die eine Erzählstruktur basierend auf Mythen, Märchen und Legenden ist, wird dem Spieler ein Abenteuer geboten, das er zunächst ablehnt. Oder zumindest überdenkt, bis ihn ein Mentor oder der NPC mit Belohnungen überzeugt die Quest zu absolvieren. Sobald die erste Hürde gemeistert ist gibt es kein Zurück mehr. Das kann bereits der Gang in den Wald sein, um dort Wölfe zu erledigen, denn umdrehen wäre reine Zeitverschwendung. Und wenn man schon mal da ist, kann man sich der Aufgabe auch stellen. Es folgt der Punkt der Konfrontation mit dem Gegner und dem bewältigen der Prüfung. Danach tritt er den Rückweg an und kehrt als Held zurück. Anschließend beginnt die nächste Aufgabe und der Kreislauf beginnt wieder von vorn.

Es sind gerade die Nebenquests, die uns im Spiel halten und den Mehrwert eines Spieles bieten sollen. "Stetig bekommt der Spieler vorgehalten, was die Welt zu bieten hat und noch zu erledigen ist", erklärt der auf Videospiele spezialisierte Psychologe Jamie Madigan. "Die Aufgaben und die Fülle an vermeintlichen Möglichkeiten wird immer präsent gehalten."

Die vielen Symbole, Markierungen und oft auch eine Prozentanzeige halten uns perfide vor Augen wie wenig wir doch bislang das Spiel ausgekostet haben. Auf der anderen Seite ist dies aber auch clever gelöst. Denn das ist weder Zufall, noch eine simple Designentscheidung: Stattdessen wirkt hier ein psychologischer Anker, der von den Entwicklern bewusst erdacht und gezielt eingesetzt wird. Jede Aufgabe und jedes Symbol ist eine Aufforderung und ein kognitiv gesetzter To-do-Punkt, führt Psychologe Jamie Madigan aus. Das ist vergleichbar mit unbeantworteten E-Mails im Posteingang, der unfertigen Steuererklärung oder den noch nicht erlebten Touristenattraktionen im Urlaub. Dabei setzt der sogenannte Zeigarnik-Effekt ein. Der Effekt ist benannt nach seiner Entdeckerin Bluma Zeigarnik, die ihn in den 1920er Jahren beim schlürfen eines Kaffees in einem Restaurant entdeckte. Sie bemerkte, dass ein Kellner, den sie beobachtete, in der Lage war, sich an endlose Bestellungen zu erinnern, wenn er sie nicht erledigt hatte!

Dementsprechend bleiben uns nicht abgehakte Aufgaben über Stunden oder gar Tage im Hinterkopf und lassen uns unbewusst keine Ruhe. Unser Gehirn glaubt, unzählige unerledigte Verpflichtungen zu haben.

Auch das Genre des Shooters blieb nicht von Grindelementen verschont. Während es früher nur darum ging sich abzureagieren und dabei auf Augenhöhe zu messen, verkommt das heutige Onlineerlebnis zu einer imaginären Beförderungsleiter, um sich selbst zu profilieren. Diesen Grundgedanken beschreibt John Romero, früherer Doom- und Quake-Entwickler bei ID Software mit den Worten: "Wir wollten, dass du dich mächtig fühlst".

Moderne Beispiele wie Battlefield, Call of Duty, Counter Strike Go und Fortnite bauen auf ein Rangsystem, bei dem ihr durch Abschüsse und Erfolge im Multiplayer Erfahrungsstufen aufsteigt und Punkte oder Credits erwirtschaftet. Damit schaltet der Spieler gegen Arbeits- und Zeiteinsatz neue Waffen und Fähigkeiten frei - und damit Vorteile.

Selbst wenn es eigentlich nichts mehr zu entdecken, oder freizuschalten gibt, motivieren Shooter wie Destiny mit gering verbesserten Ausrüstungsgegenständen oder Waffen zum weiteren spielen. "Das ist ähnlich wie sich Bänker mit Büros, Gehältern, Boni-Zahlungen und Titeln auf einer Visitenkarte übertrumpfen", glaubt Psychologe Madigan." Das ist ein typisches Karrieredenken. Es wird ein irrationales Aufstiegsstreben und Konkurrenzgefühl unter den Spielern erzeugt. Parallel zu den tatsächlichen Fähigkeiten wird - ob bewusst oder nicht - der virtuelle Besitzstand verglichen, um damit prahlen zu können.“

Wer spielt, dem sollen kontinuierlich Anreize geboten werden, die ihm vermitteln, dass der Zeitaufwand gut angelegt ist. Wie zum Beispiel in Fifa Ultimate Team, bei dem man für das absolvieren mehrerer Spiele im Division Rivals Modus Ränge aufsteigt, Packs bekommt und somit die Chance auf tolle neue Spieler hat. Der Spielerschaft wird dabei das Gefühl eingeimpft, sie müsse sich den Spaß eines Videospiels und damit den Fortschritt gefälligst verdienen.

„Diese Systeme sind so omipräsent, man kommt kaum drumherum keines zu spielen. Das kann auch furchtbar ermüden", sagt Brendan Keogh. Jedoch: „Wo ein Extrem entsteht, entsteht meist auch ein Gegenpol.“

Die Rede ist von Narrative Games, die oft auch abschätzig Walking Simulatoren genannt werden. Das Genre ist längst keine unbekannte Nische mehr, sondern erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Denn sie verlangen weder viel Konzentration, noch Arbeit, oder einen nennenswerten Zeiteinsatz. Es geht lediglich darum die Reise durch das Spiel zu erleben und Sinneseindrücke aufzusaugen. Das disqualifiziert sie jedoch auch als Spiel, geben Kritiker zu bedenken.

In dem Buch “Rules of Play. Game Design Fundamentals“ von Katie Salen und Eric Zimmermann schreibt der Computerspielforscher Jesper Juul: "Ein Spiel ist ein regelbasiertes System mit einem variablen und quantifizierbaren Ergebnis, bei dem verschiedenen Ergebnissen unterschiedliche Werte zugewiesen werden, der Spieler sich bemüht, das Ergebnis zu beeinflussen, sich emotional mit dem Ergebnis verbunden fühlt und die Konsequenzen der Handlung optional sind."

Für Dan Pinchbeck, Entwickler von Dear Esther und Autor des Titels Amnesia: A Machine for Pigs stellt sich die Frage gar nicht, ob diese malerischen Erzählungen Spiele sind: "Die Frage, ob das 'noch ein Spiel' ist, ist völlig uninteressant. Spiele sind ein breites Feld - nicht jedes Spiel ist für jeden, und das ist gut so. Wer versucht, das Gameplay eines Spiels zu definieren, indem er mechanische Interaktion oder geschicklichkeitsbasierende Ziele abzählt, tut dem spannenden Medium Unrecht."

Schlussendlich sind Arbeitsmechanismen in Videospielen lediglich ein Abbild unserer Gesellschaft und nichts schlechtes. Denn unweigerlich werden Muster aus dem Arbeitsleben kopiert und real nachgebildet, da Entwickler immer wieder auf bekannte Muster zurück greifen. Der Wahn nach immer mehr Aufgaben scheint aber nicht die Lösung zu sein und schränkt sowohl in der Fantasie, als auch den grundlegenden Gedanken der Spiele ein: Spaß und Entspannung. Jeder sollte sich die Frage stellen: Wollen wir wir wirklich noch mehr Arbeit im Leben haben?