Wir sind längst angekommen im Medienzeitalter. E-Mails werden von unterwegs verschickt, Treffen finden zu einem großen Teil schon übers Internet statt, und Nachrichten werden schon über Uhren verschickt. Kaum verwunderlich also, dass mittlerweile auch Computer und Videospiele ihren Weg in die breite Gesellschaft gefunden haben.
Dadurch, dass sie so zentral in der Gesellschaft stehen, wird genau geschaut, ob sie negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
Die Drogen- und Suchtberatung Erlangen und Erlangen Höchstadt hatte 2016 schon zehn Fälle, welche unter der Rubrik "PC- beziehungsweise internetabhängig" registriert wurden. Auch die Jugend- und Familienberatung der Stadt Erlangen verzeichnete zwölf Fälle und davon sieben mit dem Hauptgrund PC beziehungsweise Internet. Gefahren sind also durchaus gegeben. Nur: Was haben denn die Spiele damit zu tun?
Im aktuellen Fall bezüglich der Computerspiele geht es um einen Eintrag der "Online-Spielsucht" in die internationale Klassifizierung der Krankheiten (ICD). Seit 2013 ist dieser Antrag der Weltgesundheitsorganisatzion (WHO) bereits unter Beobachtung, nun soll es mit der neuesten Klassifizierung der Krankheiten, dem ICD 11, offiziell gemacht werden. "Online-Spielsucht" soll zu einer eigenständigen Krankheit ernannt werden, und ab Erscheinen der elften Auflage des ICD auch so diagnostiziert werden können.
Dass man das Ganze aber nicht so eindimensional betrachten darf, darüber sind sich in diesem Themengebiet führende Experten, wie unter anderem Mark D. Griffiths, Universitäts-Professor im Themengebiet der Spielsucht und deren Studien, einig.
Nur eine Zeitgeisterscheinung?
Allen voran beschwert sich der Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt von der Universität Münster, dass die Experten bei dieser Klassifizierung nicht ausreichend zu Rate gezogen worden seien. "Die Forschung ist in diesem Punkt einfach noch nicht so weit, eine allgemeingültige Einstufung des Mediums Computerspiel zu treffen", beklagt sich Quandt in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung.
Studien von ARD und ZDF zeigen immerhin, dass rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland über das Internet spielt. Von den 14- bis 19-Jährigen sogar ein knappes Drittel. "Und das trifft nur auf Deutschland zu. In anderen Ländern ist der Spieleranteil sogar noch deutlich höher", mahnt Quandt. Er gibt zu bedenken: "Das könnte nur der Anfang einer weitreichenden Pathologisierung, einer Überreaktion der Experten gegenüber alltäglichem Verhalten und speziell der Mediennutzung von Jugendlichen sein. Tatsächlich werden in Fachkreisen bereits Facebook-, Twitter- und Social-Media-Sucht diskutiert. Die Kriterien für Online-Spielsucht könnten analog angewandt werden."Auch Wolfgang Bensel, Heilpraktiker der Psychotherapie an der AHG-Klinik in Münchwies, sieht im Gespräch mit dem FT Schwierigkeiten in einer überhasteten Klassifizierung: "Nehmen wir mal das 19. Jahrhundert. In der damaligen Zeit haben wir auch von einer ,Romansucht', besonders häufig auftretend bei Frauen, gesprochen. Aus heutiger Sicht klingt das geradezu irrwitzig. Wir müssen also aufpassen, ob das nicht nur eine Zeitgeisterscheinung ist."
Angst vor dem Neuen
Der US-amerikanische Forscher Christopher J. Ferguson, ein liberaler Verteidiger des Computerspielens, hat die These aufgestellt, dass es sich bei der Diskussion um Computerspiele um eine "moralische Panik", eine Angst vor dem "Neuen", handle. In seinem Artikel zitiert ihn Thorsten Quandt wie folgt: "Solche angstbesetzten Ausbrüche der radikalen Ablehnung von ,neuen' Medien in der Gesellschaft gab es bereits in der Vergangenheit, mit wechselnden Objekten: Als psychologisch bedenklich wurden auch schon romantische Literatur, Comics oder Rockmusik angesehen."
"Spiele alleine als Suchtmittel zu bezeichnen, dafür reicht der Kenntnisstand sicherlich nicht. So ein Verhalten entsteht immer aus einem Zusammenspiel aus der Psyche, dem sozialen Erleben und dem Umfeld des Patienten", sind sich Wolfgang Bensel und Susanne Pechler, Psychiaterin am Isar-Amper-Klinikum in Fürstenfeldbruck, einig.
Wenn also normales Verhalten als Sucht klassifiziert werden sollte, haben nicht nur Menschen, die wirklich krank sind, sondern alle Internetnutzer sowie Handy-, Computer- und Videospieler ein Problem.
"Das bedeutet aber nicht, dass Menschen in Behandlung nicht wirklich krank sind", macht Bensel deutlich. "Es gibt zweifellos Menschen, die krank sind. Nur woher diese Krankheit kommt, das gilt es herauszufinden." Quandt erklärt: "Einige groß angelegte Studien konnten nur wenige Betroffene nachweisen, die Kriterien einer Krankheit erfüllen. Zudem ist dieser Zustand nicht zeitstabil: Ganz banal verlieren viele Extremspieler nach einer gewissen Zeit die Lust am Zocken, weil andere Dinge im Leben wichtiger werden."
Bevor wir also eine "Krankheit" ausmachen können, muss erst klar sein, womit wir als heutige Gesellschaft es überhaupt zu tun haben. Und überhastete Entscheidungen helfen da garantiert nicht weiter.