Nach dem enttäuschenden Launch von Bethesdas Fallout 76 ist ein Begriff in den Spielemedien vorherrschend. Die Game-Engine. In diesem Fall die sogenannte „Creation“-Engine von Besthesda und dem Fallout-Team. Bethesda solle doch endlich auf ein neues Grundgerüst setzen. Fallout mit einer neuen Game-Engine in einem neuen Gewand präsentieren. Aber ist das überhaupt so einfach? Und was ist überhaupt eine Game-Engine? Eine Art Grundgerüst? Ein Werkzeugkasten? Das erklärt Till Thrun, Verantwortlicher des Entwicklerteams von „Sure AI“, den Schöpfern der Total-Conversion-Mod „Enderal“ von Skyrim. Er vertritt außerdem die Aussagen von Dennis Weich (Teammitglied des Entwicklerstudios ShureAI) sowie seinem Team. Gemeinsam unternehmen wir einen ersten Annäherungsversuch an das Thema der „Game-Engine“:
Eine Engine ist im Grunde nichts anderes, als eine Entwicklungsumgebung für Computerspiele und sie ist quasi das Fundament und der Motor des darauf zu entwickelten Projektes. (Till Thrun)
Er erklärt, dass die Engine erstmal nicht als einheitliches Konstrukt, sondern als Zusammenspiel vieler verschiedener Komponenten zu sehen sei. Dazu zählen eine Grafik-Engine, eine Audio-Engine, eine Physics-Engine und eine Scripting Engine, um einen Ausschnitt zu skizzieren.
Wenn man es ganz simpel runterbricht, dann kann man sich ne Engine als leeres Atelier vorstellen. Quasi der Raum, in dem alles stattfindet. Und im Zentrum des Ateliers befindet sich ne Staffelei mit einer Leinwand drauf. Die Staffelei ist die Programmiersprache auf der die Engine entworfen wurde, also das Grundgerüst. Und die Leinwand kann man sich dann als den Renderer vorstellen, auf den mit Farbe und Pinsel aufgetragen wird und das sind die Werkzeuge, mit denen der eigentliche Spielinhalt bereitgestellt wird. (Till Thrun)
Die Engine besteht somit aus vielen abstrakten Ebenen, sogenannten Befehlsketten, die im Zusammenspiel ein ganzes Gerüst ergeben.
Wenn du eine Animation im Spiel haben willst, oder gleichzeitig ein Sound dazu abspielen willst, also zum Beispiel ein Wolf reißt das Maul auf und dazu soll ein Heulen rauskommen. Damit das gesynched passiert muss der Sound durch eine Toolchain durch und durch die Animation und am Ende kommt dann alles zusammen. Dass es halt stimmig ist und der Sound nicht erst drei Sekunden später abgespielt wird. (Till Thrun)
Um bei der Metapher zu bleiben erklärt Till noch einmal das Schaubild: Die Staffelei, auf der die Leinwand steht sei die Programmiersprache. Die Leinwand selbst sei nur der Renderer, der die Ergebnisse auf den Bildschirm bringe, also die Grafik-Engine.
Und was dann der Maler mit Farbe und Pinsel draufmalt, das kann man sich dann als Werkzeuge vorstellen, die den Spielinhalt kreieren, oder bereitstellen. (Till Thrun)
Das Bestätigt auch ein Insider aus der Games-Branche, der zu seinem eigenen Schutz nicht genannt werden will. Er ist seit zwei Jahren der technische Leiter eines großen Game-Studios und arbeitet seit 15 Jahren in der Branche. Er beschreibt die sogenannte „Game-Engine“ als Werkzeuge und “Workflows”, um die Arbeit verschiedenster Menschen, unter anderem Animatoren, Programmierern and Künstlern, zusammen zu bringen. Till hält fest, dass die Gamedesigner nicht unbedingt etwas mit der Entwicklung der Creation-Engine zu tun gehabt haben müssen. Nicht umsonst sei das Erschaffen der Engine eine völlig andere Aufgabe, als das Arbeiten mit dieser.
Die Mitarbeiter eines Spieleentwicklers seien mit ihren Arbeitsgrundlagen, also in diesem Fall der Creation-Engine so vertraut, dass sie ein Umstieg wieder zurückwerfen würde. Ähnlich wie in Mass Effect Andromeda, führte Till Thrun weiter aus. Prinzipiell seien die Grenzen einer Engine nur von dem Engine-Entwickler vordefiniert. Sobald die Entwickler des Grundgerüsts dann alle nötigen Systeme entworfen haben, die für ein Spiel nötig sind, können die Gamedesigner auch damit anfangen das eigentliche Spiel zu designen.
Solche Systeme können [...] zum Beispiel Werkzeuge fürs steuern der KI, oder eine eigene Scriptsprache zur Programmierung und Manipulation der Spielabläufe, oder das implementieren eines Questsystems sein. Der Designprozess unterscheidet sich bei jeder Engine und ist stark davon abhängig, welche zuvor entworfenen Werkzeuge dem Entwickler zur Verfügung stehen. Natürlich ist es so, dass die Leveldesigner ein Wörtchen mitzureden haben und sagen ich hätte gern dieses Feature in meinem Landschaftstool, damit ich Bäume rotieren kann. Das sagt er den Entwicklern des Renderers: „Ich möchte dieses Feature drin haben!“ Und wenn das Feature nicht drin ist, kann er das nicht machen. Aber der Leveldesigner, der dann die Bäume platziert, ist nicht zwangsläufig der, der die Engine programmiert und designed. Das sind unterschiedliche Leute. (Till Thrun)
Im Bezug auf den Begriff „Engine“ geht er danach auch noch weiter ein. Er erklärt:
Im Endeffekt ist eine Engine Programmcode, der beliebig erweitert werden kann. Das heißt, die Engine kann immer und immer und immer weiter iteriert werden, bis sie die derzeitigen neuen Features und die neue Grafik darstellen kann. Also technisch kannst du deine Engine immer und immer weiterentwickeln, das ist nicht das Problem. Programmcode kann immer erweitert, oder abgeändert werden. (Till Thrun)
Dinge wie die veraltete Optik, oder die biedere Online-Anbindung in Fallout 76, haben nach seiner Auffassung ihren Ursprung in einem Versäumnis der Entwickler.
Das sind eindeutig Patzer auf deren Seite. Auf Seiten von Bethesda. (Till Thrun)
Prinzipiell wäre eine Grafik auf dem Niveau eines Red Dead Redemption 2 in den Bethesda-Spielen durchaus möglich. Zwar sei es mit immensem Arbeits- und Zeitaufwand verbunden, aber prinzipiell machbar. Der Insider belegt diese Annahme:
Wenn dir die Grafik eines Spiels nicht gefällt, kannst du einen neuen Renderer für die visuelle Aufmachung implementieren. Das würde dem alten gerüst lediglich hinzugefügt. Dadurch können sich die gesamte Optik verändern, obwohl 95 Prozent der eigentlichen „Engine“ immer noch identisch sind. (Insider)
Dennoch ist es wichtig im Hinterkopf zu behalten, wohin man mit der Engine eigentlich möchte. Der Branchenveteran gibt zu bedenken, dass die Spieleengine immer Hand in Hand mit einem Spiel und den Ansprüchen an dieses weiterentwickelt würden. Das sieht auch Thrun von Sure AI so.
Die Engine kommt langsam an die Grenzen des Möglichen, wie man bei Fallout 76 sehen konnte. Oft liegt das auch da dran, dass die Games auf der Konsole laufen müssen und ihre Engine eine sehr flexible, eine große Menge an Objekten rendern können muss. Und je mehr Objekte man hat, desto weniger Spielraum hast du dann für andere grafische Effekte. Das liegt aber da dran, wie die ganze Engine funktioniert und wie der Open-World Renderer von Bethesda funktioniert. (Till Thrun)
Dennoch hebt er die Leistung und die Errungenschaft, die Bethesda mit ihrem Online-Ableger „Fallout 76“ geschaffen hat, heraus.
Es ist unheimlich kompliziert eine Onlinekomponente in eine Engine einzupflegen, die seit über 15 Jahren einfach nur dazu dient Singleplayerspiele zu verwirklichen. Wahrscheinlich ist das Problem, das hinter Fallout 76 steckt, dass es einfach unter extrem hohen Zeitdruck geschah, um schnell ein multiplayerfähiges Spiel auf den Markt bringen zu wollen. (Till Thrun)
Einen Grund, warum Bethesda so verfährt, liefert er auch gleich mit. Seiner Meinung nach ist vor allem die Erfahrung der Entwickler innerhalb ihrer Engine, mit der sie auftretende Probleme schnell zuordnen, und aus der Welt schaffen können. Einen monetären Aspekt sehen die beiden Experten nicht direkt bei der Auswahl der Spieleengine, wie zum Beispiel bei Electronic Arts mit der Frostbyte-Engine.
Der technische Leiter erklärt: „Der größte Unterschied zwischen Engines könnte darin bestehen, dass einige Engines statischer sind (ein vorgefertigter, sogenannter „Gebackener“ Schatten, oder Beleuchtung in Megatexturen) und andere konstant dynamisch sind. Das sind große Designmöglichkeiten, aber es ist einfach, sich als Programmierer anzupassen und seine Fähigkeiten zu adaptieren. (Insider)
Das bedeutet, dass es für die Entwickler kein größeres Problem darstellt, wenn sie sich an unterschiedliche Engines gewöhnen müssen. Nur, wenn unter Zeitdruck ein möglichst fehlerfreies Produkt gefordert wird, kann das fast nie geliefert werden. Denn dadurch, dass Engines nur Programmcode sind, bieten sich für die Entwickler mit ausreichend Geld und Zeiteinsatz nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Wichtig ist nur, dass die Engine benutzt wird, die das Spielerlebnis am besten unterstützt.