Gewalt in Spielen ist allgegenwärtig. Schon der kleine Junge, der „Cowboy und Indianer“ spielt, „schießt“ mit seiner Pistole, um am Ende als Sieger dazustehen. Innerhalb dieses Spielekontexts, wird das weder hinterfragt, noch kritisch gesehen. Es gehört ja schließlich mit dazu. „Das machen ja alle Kinder“, so die vorherrschende Meinung.
Übt man als Spieler diese Gewalt allerdings in Computerspielen wie „Counter Strike“ oder „Call of Duty“ aus, ist man schnell als der sozial verwahrloste Abschaum abgestempelt. So zumindest stellte sich die Situation noch vor einigen Jahren dar. Heutzutage reden Politiker und Verantwortliche der Branche deutlich reflektierter und besonnener über diese Thematik. Schlagwörter wie der von Günther Beckstein ins Leben gerufene Begriff „Killerspiele“ oder eine an den Haaren herbeigezogene Verbindung zwischen Gewalttaten unserer Gesellschaft und Computerspielen, wie Sie Thomas de Maizière, unser Bundesinnenminister gerne zieht, sind in der Öffentlichkeit derzeit nur noch sehr kurz ein Thema und verlaufen recht schnell im Sande. Dass man aber über Gewalt in Spielen nach wie vor sprechen muss und endlich eine erwachsene Diskussion von den Menschen, die für dieses Medium verantwortlich sind in Leben gerufen werden sollte, davon ist Wolfgang Walk, seines Zeichens selbstständiger Story Autor, Dozent in Sachen Computerspiele und Projektleiter bei zahlreichen Spieleproduktionen, überzeugt.
Auch für Gunnar Lott, ehemaliger Chefredakteur des Computerspielemagazins „Gamestar“ ist eine Auseinandersetzung mit Gewalt wichtig. Das macht er auch mit seinem Unverständnis über den Begriff der Killerspiele im Interview mit dem ZDF bezüglich einer Reportage über diese, deutlich. Er erklärte: “Killerspiele ist ein Kampfbegriff. Der Begriff ist dafür da, etwas zu diffamieren. Und insofern ist er gar nicht weiter zu diskutieren. Man darf den eigentlich nicht verwenden."
Wolfgang Walk hat sich mit diesem Thema schon seit längerer Zeit beschäftigt. Er begann mit dem Spielen von ID Softwares „Doom“ aus dem Jahre 1993 und der Frage: „Inwiefern ist das Ausüben von sehr konkreter, wenig abstrakter Gewalt desensibilisierend gegenüber dem Ausüben von Gewalt?“
Eine direkte Antwort darauf ist aus seiner Sicht aber mit einem Expertenblick nicht möglich. Walk erklärt: „Die Haltung des Spiels selbst zu Gewalt, inwieweit der Spieler gedanklich herausgefordert wird und wie sich das Verhältnis des Spielers zur Spielwelt gestaltet, sind wichtig. Da konnte ich die Jungs von „Doom“ wieder exkulpieren (vom Vorwurf des Verschuldens befreien), denn ihr Werk ist letztendlich so abstrakt und so ethisch nulldimensional, dass sich auch keine ethischen Dilemmata, keine ethischen Fragen an den Spieler ergeben, die ihn irgendwie desensibilisieren könnten. An der Stelle begann mein Ansatz, wenn ich über Gewalt in Videospielen nachdenke. Die Spielwelt in ihrer ethischen Repräsentanz ist einer der Dreh- und Angelpunkte, die man genauer beleuchten muss.“ Aber auch hier landet man nach Ansicht von Walk schnell in einem Dilemma.
„Einerseits verkaufe ich ein Spiel. Der Kunde hat das Recht und ich, als Designer, hab die moralische Pflicht, dass ich ihm das bestmögliche Spiel mit dem größtmöglichen Spielspaß abliefere. Nicht jeder Kunde steht auf ethische Dilemmata und findet es gut, wenn der Spielspaß darunter leidet, weil er auf der anderen Seite das Zittern im Dilemma hat.“
Insofern muss aus seiner Sicht alleine das Entwicklerteam darüber entscheiden, wie und welche Gewalt im jeweiligen Spiel dargestellt wird. Es gelte, so Walk, auf die Ästhetik zu schauen. Die erste Frage, die man sich stellen müsse, sei wie genau sich die Ästhetik des jeweiligen Spiels darstellt. Was ist die Gegenwelt? Welche Welt wird im Spiel aufgespannt und in welche Ästhetik wird der Spieler hineingeworfen? Denn eines ist uns Spielern schon seit Jahren klar: Spiele simulieren eine andere Welt und diese hat ihre eigene Ästhetik und Ethik, die sich von Spiel zu Spiel stark voneinander unterscheidet. Die Ethik in „Grand Theft Auto“ ist eine Überzeichnete gegenüber unserer Welt.
Wolfgang Walk meint: „Jedem, der als reifer Mensch das Spiel konsumiert, ist das auch klar. Sicherlich ist das nicht der Fall, wenn ich ein elfjähriges Kind damit konfrontiere; das wird schwierig werden. Nicht nur deshalb sind solche Videospiele ab 18 Jahren.“ Zusätzlich ist die Gewalt in Computerspielen ein hochkomplexes Thema und bereitet Spielern daher auch ein "hochkomplexes Vergnügen": Das zumindest schildert Kulturwissenschaftler Christoph Bareither (Universität Tübingen) in seiner Doktorarbeit. „Sie erlebten Dominanz und Freude, Hochs und Tiefs, ja sogar Mitleid und Schuldgefühle. Es steht dem Kinobesuch oder dem Fußballspielen in nichts nach", erklärt Bareither und betont: „Ich will virtuelle Gewalt nicht verharmlosen. Gleichwohl muss man das Potenzial der Spiele, Emotionen hervorzurufen, anerkennen. Sonst grenzt man alle Computerspieler aus und es kommt zu keiner vernünftigen Debatte."
Dieser Ansicht ist auch Wolfgang Walk. Er erklärt im Interview mit „Pixelwarte“: Weil das Spiel in der Öffentlichkeit lange aus dem Kunst- und Kulturdiskurs ausgeschlossen wurde, ist daraus ein wissenschaftlicher Zirkelschluss entstanden, der sich gesagt hat: Es ist keine Kunst, hat also keine bedeutsame Ästhetik und somit müssen wir das auch nicht untersuchen! Aber genau dieses Auslassen ist das Problem.
Deshalb werden Spiele über einen Löffel balbiert, die nichts miteinander zu tun haben. Ich kann den sehr fein ziselierten, objektivistisch feuchten Traum von „Bioshock“ nicht mit der Welt von „Hatred“ (Destructive Creations, 2015) vergleichen. Das sind zwei völlig verschiedene Beispiele, die davon handeln, Menschen zu erschießen. Das ist aber nur die Oberfläche (der Spiele). Ansonsten könnte ich auch einfach in einen Schlachthof gehen, ein Foto schießen und dieses neben Picassos Guernica hängen, um zu postulieren, dass es zwei identische Bilder sind, was jeder sofort abstreiten würde. Keiner käme auf Idee, Picasso vorzuhalten, dass er Tristesse oder gar Gewalt verherrlichen will, ganz im Gegenteil.“ Dieser Vergleich zeigt, wie Spiele in Zukunft besprochen werden sollten. Spiele sollten nicht länger um Ihre Anerkennung als Kunstgegenstand kämpfen müssen und eine dementsprechende Beurteilung erhalten. Nicht alle Spiele mögen Kunst sein, aber dasselbe gilt auch für Filme und Theaterstücke. Und wer käme schon auf die Idee, diesen den künstlerischen Wert abzusprechen? Spieleentwickler selbst sind also in der Pflicht, unser Hobby und Lieblingsmedium weiter in die richtige Richtung zu schieben.
Dass die Aussichten vielversprechend sind, ist offensichtlich. Denn während Videospiele in den 90ern tatsächlich teils reine Baller-Orgien waren, haben sie sich mittlerweile zu einem Kulturgut entwickelt, das eine erwachsene Auseinandersetzung mit aktuellen Themen wie eben auch Gewalt ermöglicht. Statt bloßer Darstellung wird diese in einen Kontext gerückt und ermöglicht dem Spieler, sie zu hinterfragen, wie dies zuletzt auch die großartigen Titel "Valiant Hearts" und "This War of Mine" getan haben.