Horror im Computerspiel - Warum haben wir Lust auf Angst?

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Der Mutant mit der Kettensäge. Der schlurfende Zombie, das blutrünstige Alien. Oder aber der maskierte bewaffnete unbekannte. Sie alle könnten unterschiedlicher kaum sein, haben aber eines gemeinsam. Sie sollen uns Angst machen.

Das passiert im Filmbereich, genauso wie in Romanen, Hörspielen oder auch Videospielen. Viele suchen diesen Kick. Den Horror. Haben den Drang nach einem „erschreckt werden“. Aber warum ist das so? Und warum haben wir nachdem wir ein Horrorspiel gespielt oder einen Horrorfilm gesehen haben Angst? Wir sollten doch wissen, dass das eben gesehene nur Fantasie oder ein haufen Pixel war.

Fiktionale Erlebnisse - Echte Emotionen

Das erklärt Prof. Dr. Helge Thiemann in einem Interview mit dem Podcast-Magazin „The Pod“. Er ist Diplom-Psychologe an der Ruhr-Universität Bochum für den Bereich Methodik, Diagnostik und Evaluation.

Es ist ja schon realitätsnah. Wir sehen sich bewegende Abbildungen … Wir Menschen sind in der Lage nicht nur im Hier und Jetzt zu leben, sondern auch in Hypothetischen Welten. - Prof. Dr. Helge Thiemann

 

Medienethik-Professor Dr. Markus Paul von der Hochschule Ansbach ist der Ansicht, dass dieses „Hineinversetzen“ in andere Menschen, seien sie nun fiktional oder nicht, dem Menschen angeboren sei. Somit hat jeder von Natur aus einen gewissen Empathie-Level, kann sich folglich in andere Menschen hineinversetzen.

Warum wir uns aber gezielt in Angstsituationen hineinversetzen wollen, kann viele Gründe haben. Joachim Goldberg, Forscher zur Interaktion von Medienentwicklung erklärt sich dieses Phänomen gegenüber dem SWR wie folgt:

 

Einer der wesentlichen Gründe ist. Sie versuchen ihre Angst zu konkretisieren.
Das Dumme ist: Wir haben alle Angst, ob wir das wollen, oder nicht. - Dr. Markus Paul

Eine Konkretisierung alleine erklärt aber noch nicht die vielen unterschiedlichen Situationen in denen wir Horror bewusst konsumieren. Doch Goldberg gibt zu verstehen, die Emotion Angst ist nichts unnatürliches, sondern hat einen genetischen Ursprung. Somit ist sie etwas das der Mensch qua seines Ursprungs als Jäger und Sammler benötigte, schildert Thiemann:

Es ist relativ einfach. Angst ist eine angeborene Reaktion die zeigen wir schon als Säuglinge. Und das verändert sich auch nicht. Das heißt wir können uns nicht entscheiden einfach angstfrei zu leben. Und es gibt auch evolutionär genetisch bestimmte Dinge in der Welt von denen wir fast automatisch Angst haben bzw. aktiv Angst verlernen müssen. Das sind zum Beispiel Spinnen oder Schlangen. - Joachim Goldberg

Schaurig schönes Gefühl

Wenn wir uns also gezielt Medienangeboten aussetzen die bei uns Angst erzeugen sollen, dann verfolgen wir damit einen Zweck. „In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang von der sogenannten Angstlust", sagt Ulrich Kobbé vom Institut für subjektpsychologische Wissenschaften in Lippstadt gegenüber dem Spiegel. „Dieses Phänomen ist eine Mischung aus Furcht und Wonne, die an eine Rückkehr zur Sicherheit gekoppelt ist. Wir verlassen deswegen nur in Gedanken unsere sichere reale Welt, setzen uns mit Wonne den virtuellen Gefahren aus, aber behalten stets im Hinterkopf, dass wir im nächsten Moment schon in unser friedliches Wohnzimmer zurückkehren können."

Lerneffekt durchs Zusehen?

Ergänzend zieht Professor Dr. Markus Paul die Theorie des Erlernens aus der Psychologie hinzu. Nach dieser, lerne man durch die Bewältigungsstrategien des Stellvertreters, also des Helden im Horrorspiel oder Film, mit der Situation klarzukommen. Dadurch, dass der Protagonist die Situation oder Herausforderung bewältigt, fühlen wir also mit und bekommen durch die vorher aufgebauten Schock- und Gruselmomente einen großen Payoff, also eine große Belohnung/Erleichterung. Ulrich Kobbé erklärt weiter: „Der Mensch spielt gerne mit solchen Gedanken, um zu lernen, mit den unangenehmen Seiten des Lebens zurechtzukommen".

Ein Protagonist wie Du und Ich

Horrorspiele zeichnet vor allem die Verwundbarkeit und die Hilflosigkeit des spielbaren Charakters aus. Wir verkörpern in den allermeisten Fällen einen völlig normalen Menschen. Keinen Supersoldaten, Superhelden oder Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Dadurch fällt eine Identifikation mit dem Protagonisten leichter und erleichtert auch unser Mitgefühl unserem virtuellen alter Ego gegenüber. Das ist kein Zufall, denn damit Horror funktioniert muss die Geschichte auf nachvollziehbaren Grundlagen aufsetzen, „ansonsten läuft das Werk Gefahr für den Konsumenten belanglos zu werden“, erklärt Kobbé.

Ist uns in unserer zivilisierten Welt einfach nur langweilig?

Und all diese Erkenntnisse eint eine Annahme: Die größte Angst erzeugt das Ungewisse. „Angst entsteht durch das Auslassen von bestimmten Szenen und dem damit einhergehenden Stimulus für die eigenen Gedanken“, meint Professor Paul. Wenn man nicht weiß, ob in dem verlassenen Haus vorne eine Horde Zombies wartet, oder es sicher ist, entstehen Bilder in unserem Kopf. Im Zusammenspiel mit den uns bekannten Effekten ergibt das ein schaurig schönes Erlebnis, so Kobbé.

Somit lässt sich zusammenfassend sagen: Wir suchen diese Expliziten Emotionen wie Angst, Furcht oder den Horror wahrscheinlich auf, weil diese Emotionen aus unserem Alltag verbannt wurden. Wir müssen nicht mehr jeden Tag um unser Leben fürchten, wie es zu Beginn der Menschheitsgeschichte noch war. Trotzdem haben wir die Genetische Veranlagung von Angst, und durch viele verschiedene Ausprägungen der Persönlichkeit manchmal auch eine Vorliebe für extremere Gefühle wie die Erleichterung nach einem beängstigenden Erlebnis. Und damit wir diese Befriedigung erhalten können, hat sich das Genre des Horrors herausgebildet. Aber dennoch gibt es noch keinen endgültigen wissenschaftlichen Konsens darüber, wie viele der Sonderfälle, beispielsweise der Sieg eines Antagonisten in einem Horrorfilm Lust erzeugen können. Und dennoch: Dadurch, dass jeder Mensch ein Produkt seiner eigenen Wahrnehmung, Erlebnisse und Werte ist, bietet sich für jedes Individuum eine gesonderte Erklärung an. Spaß macht es uns Horrorfans nämlich nach wie vor durch verlassene Raumschiffe wie die Ishumura aus Dead Space oder verlassene Herrenhäuser a la Resident Evil zu laufen, bangend um unser Leben auf der Suche nach einem Ausweg.

Aber bitte nur vom Sofa aus!