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Pokémons Kampfsystem: Geniales Gamedesign oder furchtbarer Murks?

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Die Pokémon Editionen – Weit über 20 Jahre sind seit rot und blau vergangen und mit Schwert und Schild sind wir nun bei weit über 800 Pokémon. Während der Hype gegen Ende der 90er fast die ganze Welt erreichte und ein einzigartiges Medienphänomen war, lässt der Erfolg auch heute nicht nach. Die Verkaufszahlen von 3DS Spielen zeigen z. B. rückblickend eine klare Dominanz von Pokémon Editionen mit etwa 16 Millionen verkauften Exemplaren sowohl bei X & Y sowie Sonne & Mond. Spätestens seit Pokémon Go brachte man sich erneut global ins Gespräch. Über die Jahre wurde die Kritik gegenüber der Hauptspiele jedoch immer größer und größer: Der Wunsch nach Veränderung wurde lauter und zu Generation 8 hin nun schließlich nahezu unüberhörbar. Treue Fans, harte Kritiker und doch weckt jede neue Generation erneut das Interesse von uns allen und die Verkaufszahlen wollen einfach nicht abnehmen. Doch woran liegt das?

Das Gameplay von Pokémon hat sich in der Tat nie wirklich stark gewandelt: Es ist immer noch der traditionelle Einstieg: ein böses Team taucht auf, das auf unserem Weg zum Meister nebenbei in die Schranken gewiesen wird. Dabei erleben wir großen Sammelspaß auf einem Abenteuer, bei dem wir durch eine vielfältige Spielewelt reisen, von schönen Melodien begleitet werden und uns über neue sowie altbekannte Pokémon freuen. Bei unserer Reise durch Kanto, Johto, Hoenn und weitere Regionen ist jedoch eine Tätigkeit besonders präsent: Das Kämpfen.

Pokémons Kampfsystem ist auf vielen Ebenen faszinierend, bietet es doch eine wirklich einfach zu verstehende Basis, aber gleichzeitig derart viel Komplexität, wenn man ins Detail geht. Man merkt schnell: Das System sticht unter rundenbasierten RPG Kampfsystemen positiv hervor. Habt ihr schon Beschwerden über das Kampfsystem von Pokémon vernommen? Zwar werden heutzutage enorm viele Gameplay-Elemente von Pokémon aufgrund fehlender neuer Innovation verurteilt, doch das Kampfsystem findet dabei in der Regel nicht Erwähnung.

Und das aus guten Grund: Es war bereits damals innovativ, hat sich auf seine Stärken berufen und wurde konsequent über die Generationen weiterentwickelt – über die Jahre ist die schiere Anzahl an Änderungen recht bemerkenswert. Doch sehen wir uns im Detail an, was das Pokémon-Kampfsystem ausmacht.

Zu Generation 1 nahm alles den Anfang: Wir besitzen bis zu 6 Pokémon, die wir fangen, bzw. durch Tausch erhalten. Damit treten wir im rundenbasierten System gegen andere Trainer an. Zu Rundenbeginn können wir entweder auswechseln, oder aus vier verschiedenen Attacken wählen – Die Möglichkeiten sind dabei auf das Pokémon selbst zugeschnitten. Mit TM/VM können noch besondere Attacken gelernt werden. Im Kampf selbst wird das Geschehen vor allem durch die Typenkombinationen und Werte der Pokémon bestimmt. Dazu gesellen sich Statusveränderungen wie Paralyse, Gift, Schlaf und mehr, sowie Buffs/Debuffs auf Statuswerte.

Es fängt mit einfachen Zusammenhängen wie Wasser ist effektiv gegen Feuer an, die jeder versteht und elementarer Bestandteil vieler Kampfsysteme sind, so z. B. in Dragon Quest und Final Fantasy. Durch das Verwenden von Zweit-Typen und den daraus entstehenden Möglichkeiten hebt sich Pokémon jedoch weiter ab. Plötzlich entstehen neue Zusammenhänge. Nehmen wir z. B. Gastrodon, das vom Typ Wasser/Boden ist. Elektroangriffe zeigen keine Wirkung mehr, da Boden diesen Typ komplett negiert. Doch gleichzeitig erhält es eine Vierfachschwäche gegen Pflanze, da sowohl Wasser, als auch Boden gegen Pflanze eine Schwäche aufweisen. Solche Zusammenhänge verleihen dem System mehr Tiefe. So war es immer schon einfach zu verstehen, bot aber genug Möglichkeiten, dazuzulernen und als Spieler zu wachsen

Diejenigen, die bereits früh tiefer ins System eingestiegen sind, werden schnell festgestellt haben, dass es zur damaligen Zeit noch kein wirklich sauberes Balancing gab. Sei es mit Schlitzers irrsinniger Krit-Rate, oder Kombination wie Toxin + Egelsamen. Allen voran war aber der Typ Psycho ein ernstzunehmendes Problem, denn damals gab es ausschließlich eine Käfer-Schwäche und kaum Käfer-Pokémon, die gegen die mächtigen Psycho-Pokémon der ersten Generation bestehen konnten.

Doch Generation 2 konnte das Problem beheben: Geist wurde effektiv gegen Psycho und mit Stahl und Unlicht gesellten sich zwei weitere Typen dazu, die sinnvolle Ergänzungen boten. Dazu kam eine neue Dimension hinzu durch Items, die das Kampfgeschehen beeinflussten und heutzutage einfach nicht wegzudenken sind. Erstmals wurde auch die Pokémon Zucht ein maßgeblicher Bestandteil für Spieler, die tiefer in die Materie eingestiegen sind. Hier konnte man Attacken vererben, um an noch mehr Angriffsmöglichkeiten zu kommen. Pokémon wurden weiter individualisiert um Kämpfe noch spannender zu gestalten.

Das war den Entwicklern von Game Freak ebenfalls noch nicht genug: Generation 3 brachte noch mehr Komplexität in das Geschehen mit hinein. Das Wesen von Pokémon, welches einen starken Einfluss darauf hat, in welchen Statuswerten es sich spezialisiert und besonders hervorsticht, sowie EV (Evaluation Points), Punkte, die durch gezieltes Training gegen bestimmte Pokémon die Statuswerte weiter beeinflussen, wurden wichtige grundsätzliche Mechaniken, sofern Pokémon kompetitiv gespielt wird.

Allen voran verliehen Fähigkeiten dem System jedoch noch mehr Tiefe. Jedes Pokémon bekam ab Generation 3 eine eigene Fähigkeit. Später kamen sogar versteckte Fähigkeiten, bzw. alternative Fähigkeiten dazu, die für die Zucht z. B. eine große Rolle spielen und einem Pokémon an sich noch mehr Vielfalt im Kampf geben.

Ein Extrembeispiel ist z. B. Ninjatom vom Typ Käfer/Geist. Mit seiner einzigartigen Fähigkeit Wunderwache kann es überhaupt nur durch effektive Attacken oder Wettereffekte verletzt werden. Dazu hat es nur 1KP – Doch durch einen Fokusgurt wird es dahingehend abgesichert, dass es zumindest einen Angriff aushalten kann. Dieser besagt nämlich, dass ein tödlicher Angriff überstanden wird, falls es zu Rundenbeginn bei vollen KP ist.

Das mag zunächst übermächtig klingen, doch das ist es nicht. Denn Wettereffekte oder Angriffe wie Tarnsteine und Giftspitzen sind alles andere als unbeliebt. Während Wettereffekte kontinuierlichen Schaden bewirken können, oder den Schaden bestimmter Typen massiv beeinflussen können, sollen Tarnsteine und Giftspitzen Strategien bestrafen, die viel auf das Auswechseln von Pokémon setzen. Denn jedes Einwechseln kostet wertvolle KP, oder wird mit einem Statuseffekt bestraft. Zwar gibt es RPGs bei denen man z. B. zu einer zweiten Gruppe wechseln kann, doch Wechsel-Mechaniken sind typisch für Pokémon und selbst Wettereffekte, die wirklich das Kampfgeschehen beeinflussen sind eine absolute Rarität unter Rollenspielen.

Nun wollen wir aber nicht zu technisch werden – Geht man auf jedes einzelne Detail ein, so merkt man, dass das Pokémon Kampfsystem mit der Zeit gut gepflegt wurde. Neulinge konnten einfach einsteigen und alle die mehr Interesse zeigten, konnten im kompetitiven Spiel eine völlig neue Welt für sich entdecken. Auch später noch wurde z. B. mit der Einführung des Feen-Typs das Balancing sinnvoll korrigiert um Pokémon Kämpfe weiterhin spannend zu halten. Gleichzeitig versuchte man mit Optionen wie Multi-Kämpfen, oder neuen Versuchen wie „Mega-Entwicklungen“ oder „Z-Attacken“ immer wieder frischen Wind hereinzubringen, der auch das Metagame maßgeblich beeinflusst hat. Klar kann man sich darüber streiten, ob man all diese Entwicklungen selbst befürwortet. Mit Schwert und Schild stehen Leute nun Dynamaxing kritisch gegenüber, doch dass Game Freak beim Kampfsystem sich fleißig kreativ austobt, lässt sich kaum abstreiten.

Würde man mich fragen, welche rundenbasierten Kampfsysteme zu den besten gehören, wäre für mich zweifelsohne das System aus Pokémon auf meiner Liste. Wie viel Spaß kompetitives spielen in Pokémon bereitet, habe ich selbst in zahlreichen Kämpfen gegen andere Spieler bin hin zu Turnieren erlebt. Doch bei all dem Lob existiert leider auch ein wichtiger Knackpunkt: Dieser Spaß beschränkt sich größtenteils auf den kompetitiven Bereich.

Während die Komplexität gegen andere Spieler gut zur Geltung kommt, wird diese im normalen Singleplayer nur selten wirklich ins Auge stechen. Seit jeher waren Pokémon-Spiele nicht wirklich schwer. Viele Spieler trainieren nur wenige Pokémon, mit denen sie bis zum Ende durchkommen ohne in wirklich viele brenzlige Situationen zu geraten. Selten haben feindliche Trainer im Spiel überhaupt einmal spannende Teams, die auch mit ihren Fähigkeits-, Item- und Attackenkombinationen wirklich gefährlich werden. Eher sticht dem Spieler eine bemerkenswert schwache KI ins Auge, die eher dadurch auffällt, Schutzschild zu spammen, als wirklich für Spannung zu sorgen.

Generation 5 brachte zumindest noch einen schweren Modus mit ein – Ein toller Ansatz, den ich gleichzeitig auch so sehr vermisse. Es ist nicht nur das Fehlen eines Schwierigkeitsgrades, der für mich persönlich bedauernswert ist. Die Tatsache, dass Pokémon Spiele immer leichter werden, trägt dazu bei, dass ich mich langweile, dabei ist das Kampfsystem im Kern derart faszinierend. Nehmen wir z. B. Rivalen: Früher war es normal, dass unser Rivale das Pokémon mit dem Typvorteil nimmt. Es war auf vielen Ebenen clever: Der Rivale hatte zwangsweise ein gefährliches Pokémon im Team und neue Spieler lernen ganz ohne Text spätestens nach dem ersten effektiven Angriff mehr über Typenzusammenhänge. Elegantes, klassisches Game Design. Auch der EP-Teiler hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Anfangs war er ein optionales Item, dass man speziell einem Pokémon gab um einfach mitzuleveln. Später wirkte er sich auf das gesamte Team aus und nun in Generation 8 sind wir sogar soweit, dass er schon gar nicht mehr optional ist.

Pokémon entwickelt sich in eine Richtung, bei der das volle Potenzial nicht ausgeschöpft wird – Auch bei Dingen, die im Kern bemerkenswert gut funktionieren. Klar, so bietet das Gameplay gute Möglichkeiten einfach abzuschalten, doch Optionen können an sich gar nicht unvernünftig sein. Spieler sind nun einmal verschieden – Die einen mögen einfach nur die Seele baumeln lassen und in Ruhe eine Reise erleben, bei der sie viele Pokémon fangen. Andere möchten wiederum gerne gefordert werden und eine Tour voller Nervenkitzel erleben. Fakt ist: Nimmt man an sich eine Optionsmöglichkeit und legt die Entscheidung vorher fest gibt es immer Menschen, die gerne selbst die Wahl gehabt hätten. Überspringbare Tutorials oder höhere Schwierigkeiten – Das sind Dinge, die Spielen immer einen Mehrwert bieten, denn Menschen sind verschieden. Mein Respekt vor dem Kampfsystem, das Game Freak erschaffen hat, könnte kaum größer sein, denn es kombiniert simple Eleganz mit vielschichtigen Mechaniken, die mir viel Spaß bereitet haben und auch heute noch tun.

Zu schade nur, dass dieser Spielspaß bis heute fast ausschließlich auf kompetitives Spielen beschränkt ist.