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Videospiele im Lockdown: Sinnvolle Beschäftigung oder schlicht Zeitverschwendung?

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Es ist eine besondere Zeit, in der wir uns aktuell befinden. Unterricht findet via Smartphone und Internet statt, das Homeoffice ist im Jahr 2020 wichtiger geworden als jemals zuvor und dem persönlichen Kontakt zu Mitmenschen haftet jederzeit ein Hauch von Gefahr an. Das Virus SARS Cov-2 greift noch immer wie ein Lauffeuer um sich. Der Mensch ist jedoch ein soziales Wesen, das wusste bereits Charles Darwin. Der sagte nämlich:

„Jedermann wird zugestehen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Wir sehen es in seiner Abneigung gegen Einsamkeit sowie seinen Wunsch nach Gesellschaft über den Rahmen seiner Familie hinaus.“

Diese Ansicht bestätigte schon vor einem Jahrzehnt die Universität aus Münster. Getrieben von unserer sozialen Natur, suchen wir nach Ersatz. Denn ganz ohne Kontakt zu anderen Menschen kommen wir dann doch nicht aus. Auch, wenn wir uns noch so sehr bemühen, die geltenden Regelungen einzuhalten. Ein Weg gemeinsam Zeit zu verbringen, ohne im selben Raum zu sein, sind Videospiele. Videospiele gehören zu den diversesten Unterhaltungsaktivitäten überhaupt. Ganz gleich, ob wir eine Runde Pokern, gemeinsam Rätsel lösen, eine spannende Geschichte erzählt bekommen, oder den dritten Weltkrieg verhindern wollen.

Gemeinsam, ohne beisammen zu sein

„Damit sind die Spiele eine Möglichkeit Aktivitäten miteinander nachzugehen, ohne wirklich beieinander zu sein“, erklärt die Psychologin und Games-Expertin Jessica Kathmann, die unter anderem mit ihren Psychologen-Kollegen Benjamin Strobel und Nicolas Hoberg das Podcastprojekt „Behind the Screens“ betreibt, in dem Videospiele aus der Perspektive der Psychologie betrachtet werden. Kommuniziert wird dabei entweder über das Spiel selbst, oder ein weiteres Programm, auf dem man sich einwählt und dann, via Internet, miteinander sprechen kann.

Eskapismus als Positivbeispiel

Sie erklärt gegenüber dem Online-Magazin Ueberstrom.net: „Ich denke, man darf Computerspiele in Bezug auf Corona auf jede Weise nutzen, die einem guttut. Sich nur noch mit Corona beschäftigen ist psychotherapeutisch ohnehin keine gute Idee, also darf man auch im Sinne des so oft verteufelten Eskapismus gerne einfach mal ganz gepflegt Realitätsflucht betreiben.“ Trotzdem werde man auch in Computerspielen immer wieder mit der aktuellen Thematik konfrontiert. So komme, vielleicht sogar ganz unbewusst, während des Kampfes gegen die „Horden des Bösen“ ein bisschen der eigene Kampf gegen das Virus durch, so ihre Schlussfolgerung im Interview.

Hochzeitsfeier mit virtuellen Figuren

Als Alternative zu realen Treffen, insbesondere vor dem aktuellen Hintergrund, seien Spiele aber durchaus in der Lage, schildert die Expertin. Allerdings nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Jessica Kathmann erklärt:

„Selbstverständlich kann man ein digitales Zusammensein mittels Avataren nicht mit einem analogen gleichsetzen. Beispielsweise wurden meiner Erfahrung nach Spiele wie “Animal Crossing” dafür verwendet, mit digitalen Avataren Kindergeburtstage zu veranstalten, Teamsitzungen durchzuführen oder gar Hochzeiten zu feiern. Mit einem digitalen ‚Körper‘ anwesend zu sein und miteinander und mit der digitalen Welt interagieren zu können, vermittelt ein gewisses Gemeinschafts- und Selbstwirksamkeitsgefühl.“

Trotzdem gehen ihrer Ansicht nach die Gestik und insbesondere die Mimik, als wichtige zwischenmenschlich-kommunikative Signale, bei dieser Art der Kommunikation verloren. Als einen der wichtigsten Indikatoren macht Kathmann den eigenen Beitrag innerhalb einer Gruppe, aus. Es gehe darum, dass sich eine Person als selbstwirksam erfährt, um eine Art Gemeinschaftsgefühl zu bekommen.

Digitale Welten sollen nicht Überhand nehmen, meint Steiner

Simone Steiner von der Caritas in Erlangen-Höchstadt / Herzogenaurach verweist zu diesem Thema auf die Definition der Aktion „Klicksafe“. Die Experten schildern dort: „Zwar beschränken sich einige virtuelle Bekanntschaften auf ein kurzes Spielchen zwischendurch. Immer wieder kommt es jedoch zu einem intensiveren Austausch und dem Knüpfen von Kontakten über das Spiel hinaus. Beide Formen von Geselligkeit und Unterhaltung üben einen gewissen Reiz aus und motivieren zum Computerspielen.“ Dadurch würden die Spiele nicht nur in der spielbegleitenden Unterhaltung, sondern auch darüber hinaus ein Anknüpfpunkt zu anderen Menschen. Oder anders formuliert: Der Effekt eines sozialen Miteinanders.

Medienkompetenz als Instrument der Selbstregulierung

Steiner hält aber auch fest, dass es prinzipiell erstmal wichtig sei, zwischen praktischer und reflexiver Medienkompetenz zu unterscheiden. Praktische Medienkompetenz beschränkt sich auf die rein mechanische Fähigkeit, Medien-Gerätschaften zu bedienen. Beispielsweise das Einrichten einer Videotelefonie-Leitung oder die motorischen Fähigkeiten eines Computerspiels. Für wichtiger hält Steiner aber die Reflexive-Medienkompetenz. „Hier geht es darum zu durchschauen, was die Absichten und Tricks der Spielehersteller sind, um mich möglichst lange im Spiel zu halten. Was macht die Faszination des Spiels aus?“ Diese Fähigkeit sei vonnöten, um einen verantwortungsvollen Umgang mit Computer- und Videospielen zu gewährleisten. „Haben die Menschen erstmal die Muster durchschaut, können wir ihnen auf dem Weg zur Selbstregulierung weitere Hilfestellungen mit auf den Weg geben“, schildert sie. Diese seien jedoch von Mensch zu Mensch unterschiedlich und nicht universell anwendbar.

Neue Wege gehen

Prinzipiell empfiehlt sie, viele analoge Kontakte zu pflegen. Man solle dem Computer und den digitalen Welten nicht sämtliche Freizeit schenken. Dass das im Anbetracht der vorherrschenden Beschränkungen schwierig sei, das sieht auch sie ein. Daher fordert sie jetzt mutige neue Wege zu beschreiten. „Videotelefonie, bei dem man den Anderen sehen kann, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Auch Feste und Geburtstage mit den Großeltern können so abgehalten werden. Selbst wenn Opa oder Oma auf dem Tablet dabei sind, ist das ein soziales Ereignis“, erklärt sie.

Vorsicht vor Kostenfallen

Doch es lauern auch handfeste Gefahren in der Welt der digitalen Unterhaltung. Immer mehr Spiele verwenden mittlerweile ein „Free to Play“ oder „Freemium“-Modell. Damit ist gemeint, dass das Spiel erstmal kostenlos gespielt werden kann. Allerdings verbergen sich hinter meist besonders tollen Items mehrere Bezahlschranken. Und nicht selten auch an das Glücksspiel angelehnte Spielmechaniken. Das erkennt man schnell an sogenannten „Lootboxen“ (Beutekisten). Die können (oder sollen) für echtes Geld gekauft werden. Meist via Kreditkarte oder Paypal-Konto. Doch ob man die Gegenstände, die man haben möchte auch wirklich bekommt, bestimmt der Zufall. Für diese Mechanik anfällige Menschen versenken so schnell mehrere hundert Euro in so ein System. Immerhin: Diese Spiele sind mittlerweile mit einer entsprechenden Warnung in App-Stores oder auf der Spieleverpackung versehen. Ist man für Glücksspielmechaniken anfällig, kann man von vornherein das Spiel im Regal stehen lassen oder erst gar nicht herunterladen.

Hobby als Ventil zur Entspannung

Trotzdem zeigen auch die wissenschaftlichen Perspektiven: Das im Jahr 2008 als Kulturgut anerkannte Medium der Computerspiele, hat erheblichen Einfluss darauf, dass wir uns besser fühlen können. Egal ob zusammen mit anderen Spielern via Internet, oder virtuelle Figuren, die mit uns reden. Kathmann resümiert:

„Grundsätzlich tun uns Videospiele während des Lockdowns gut, weil sie unter anderem eine Selbstwirksamkeitserfahrung vermitteln. Eine zeitlich begrenzte Ablenkung von den belastenden Ereignissen der realen Welt kann wohltuend sein.“

Manch einer schaue Fernsehen oder lese ein Buch, andere spielen Videospiele. „Für viele Spielende steht aber auch die bereits besprochene soziale Komponente im Vordergrund: Spielt man zusammen, fühlt man sich durch das gemeinsame Tun miteinander verbunden. Je nach Spiel wird während des Spielens auch viel Privates ausgetauscht, insbesondere unter Freunden. Reden entlastet und fällt uns in einer ungezwungenen Spiel-Umgebung oft leichter als am Telefon.“