Warum die Lootbox gefährlich ist

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Computer und Videospiele befinden sich im ständigen Wandel. Onlinesysteme werden etabliert, neue Vertriebswege, wie das Streaming, finden ihren Weg in Haushalte und auch in Sachen Monetarisierung etablieren sich immer neue Mechaniken. Die bis heute beliebtesten und meist genutzten, aber auch die mit Abstand gefährlichsten, sind die Lootbox-Systeme.

Nach einer längeren Spieleabstinenz in Sachen Multiplayer Shooter bin ich vor nicht allzu langer Zeit mit dem nostalgischen „Modern Warfare: Remastered“ und dem Weltkriegsshooter „Battlefield 1“ im Rahmen von verschiedensten Sonderangeboten eingestiegen. Lootboxen waren mir bis Dato aus Kartenspielen wie dem Dauerbrenner Hearthstone, dem Neueinsteiger Gwent, oder auch dem Urgestein World of Warcraft, sowie dem Loot-Shooter Overwatch ein Begriff. Als ich aber gesehen habe, wie drastisch der Eingriff dieser aus dem Free 2 Play Bereich entlehnten Mechanik bereits geworden ist, hatte ich gute Lust die Spiele direkt wieder zu deinstallieren.
Der Grund dafür ist schnell erklärt: Lootboxen bedienen sich gezielt Mechaniken des Glücksspiels. Offensichtlich soll der Spieler mit diesem System gezielt beeinflusst werden massiven Geldeinsatz zu betreiben. Und das, obwohl er im etablierten Spielemarkt der heutigen Zeit für ein Spiel mit Season-Pass gut und gerne bis zu 100 Euro investiert.
Das mag für viele Spiele aus dem „Free to Play“-Bereich ein durchaus legitimes Mittel sein, denn die Entwicklungskosten müssen selbstverständlich wieder irgendwie reinkommen. In Vollpreisspielen hat ein solches System aber einen mehr als faden Beigeschmack.
Ungeachtet dessen heißt es oft: „Es sind ja nur kosmetische Veränderungen". Aber diese Sichtweise, insbesondere der Spielepresse, ist gefährlich kurzsichtig.

Um diese Darstellung zu verdeutlichen, werfen wir einen Blick in die Psychologie, die in diesen Spielen zum Einsatz kommt. Nicht umsonst sucht Gameforge aus Deutschland immer wieder nach ausgebildeten Psychologen für ihre Spielentwicklungen.
Das hier angewandte System ist aus dem psychologischen „Behaviorismus“ entnommen, nämlich die operante Konditionierung. Diese beschäftigt sich mit dem Aufbau sogenannter „erwünschter Verhaltensweisen“. Um diese zu erlangen, gibt es verschiedene Formen der Verhaltensformung.
Die Psychologie beschreibt das Vorgehen mit: „Jede gezeigte Verhaltensweise in die gewünschte Richtung muss kontinuierlich verstärkt werden. Das erwünschte Endverhalten wird so schrittweise aufgebaut“.

Dabei gibt es mehrere Schritte:

  1. Allmähliche Verstärkung von Verhaltensweisen, die in der Verhaltenssequenz einen weiteren Schritt bedeuten.
  2. Differenzierte Verstärkung der Verhaltensweisen, die dem Zielverhalten fast entsprechen, bis letztendlich das angestrebte Verhalten gezeigt wird.
  3. Übergang von der kontinuierlichen zur intermittierenden Verstärkung, bis diese schließlich überflüssig wird und das Verhalten durch Gewöhnung gezeigt wird.

Noch frappierender wird die Übereinstimmung, wenn man sich das Modell der sogenannten Token Economies (Münzverstärkungssysteme) ansieht. Diese ähneln in vielen Bestandteilen den Lootboxen aus unseren Computerspielen.
Dabei versucht die Methode der Token Economies ein erwünschtes Verhalten durch die Vergabe von Tokens aufzubauen. Das sind Objekte mit Tauschwert, wie z.B. bunte Plastikchips, Punkte oder Sternchen. Diese Objekte können dann später gegen primäre Verstärker (Süßigkeiten, Kinobesuch, etc.) eingetauscht werden. Der Vorteil eines solchen Systems besteht darin, dass kaum eine Sättigung beim Lerner erzeugt wird, d.h. er lange motiviert bleibt, diese Verstärker zu erlangen.

Begründet wurde die Methode von Teodoro Ayllo und Nathan Azrin, welche die folgende vier Schritte vorschlagen:

  • Das gewünschte Verhalten wird festgelegt (z. B. selbstständiges Zubettgehen).
  • Festlegung der Endbelohnung (z. B. Kinobesuch) und Anzahl der Tokens, die dafür benötigt werden.
  • Kontinuierliche Verstärkung des Zielverhaltens.
  • Eintausch der Endbelohnung nach Erreichung der abgemachten Anzahl an Tokens.

Die sogenannten „Tokens“ der Psychologie stellen in unserem Beispiel die „lediglich kosmetischen“ Items dar. Selbstverständlich verfügen diese nicht Apriori über einen materiellen Wert. Wohl aber für den Spieler, der sich dadurch belohnt fühlt und in seinem Lieblingsspiel beispielsweise „einfach nur cool aussehen“ möchte. Insbesondere Anwendung findet dies in Spielen wie Overwatch und World of Warcraft, in dem die Progression eben nicht an das Gewinnen, sondern erlangen dieser Items gekoppelt ist.
Spieljournalist und Spielekritiker Jochen Gebauer vom Gamespodcast „The Pod“ formuliert das wie folgt:

„Ich finde es gefährlich zu kurz gedacht zu sagen, es sind ja nur kosmetische Gegenstände. Denn letztlich gibt es in einem Spiel immer eine zentrale Ressource. Und wenn meine zentrale Ressource ein Monetarisierungs-System ist, dann wird um dieses System, das Geldverdienen, das Spiel drumherum designt, und eben nicht mehr an dem, was am meisten Spaß macht.“

Wenig erbaulich wirkt hier auch die detaillierte Schilderung eines Overwatch Entwicklers, der in einem Gespräch mit Kotaku über die Lootboxen spricht: „Wenn du eine Box öffnest, wollen wir eine bestimmte Erwartung bedienen. Das erreichen wir mit vielen Versatzstücken. Animationen, Kamerafahrten, sich drehende Plattformen und Geräusche. Wir haben sogar eine kleine Vorschau in Form von glänzenden Items beim Öffnen der Boxen integriert.”
Eine solch detaillierte Auseinandersetzung mit einer Mechanik, die so stark aus dem Glücksspiel entlehnt ist, und letztlich nur dazu dient mich zu weiteren Investitionen zu motivieren, ist bedenklich.

Vergleicht man diese aufwendig gestalteten Animationen, unter anderem auch bei den Battlepacks in Battlefield 1, mit Online-Casinos, oder den Animationen aus Slotmachines, sieht man sowohl eine zeitliche, als auch visuelle Übereinstimmung. An diesem Punkt sollte der Spieler realisieren: Die Entwickler lassen viel Zeit und Arbeit in die Erstellung dieser Lootboxen einfließen, um die Spielerschaft psychologisch zu beeinflussen.
Dass diese Masche funktioniert, wissen wir also nicht erst, seit Activision bekannt gegeben hat, dass Black Ops 3 mit seinen „Supply Drop-Lootboxen“ mehr Umsatz erwirtschaftet hat, als mit Season-Pass und Map-Packs zusammen.
Solange die Spieler nicht geschlossen diese Systeme boykottiert, werden sie immer stärker in den Spielealltag eingreifen.
Erste auswüchse dieser Entwicklung konnten wir bereits beobachten. In Forza wurden die Zeitabschnitte, um neue Autos freizuspielen, so lange, dass Microsoft später sogar per Patch nachgebessert hat. Zu offensichtlich war hier die forcierte Monetarisierung.
Ebenfalls startet just mit Schatten des Krieges der Einzug von Lootboxen in Singleplayerspielen. Diese stellen hier einen elementaren Bestandteil des Spiels dar.
Um diese Mechanik nochmal in Relation zu setzen: Nimmt man den von der Community gehassten Pferderüstung-DLC in Oblivion für knackige 5 Euro als Beispiel, ist das Abzocke. Packe ich diese Rüstung aber in eine Lootbox mit der Droprate von 1/5, ist das okay. Auch wenn ich bei einem Preis von einem Euro vielleicht 10 Boxen aufmachen muss, um sie zu bekommen.
Warum ist das so?
Weil uns die Boxen Beeinflussbarkeit vorgaukeln. Sie werben mit fiktiven Zahlen, die für die einzelne Person so vielleicht gar nicht zutreffen.

Die beiden Podcaster des Gamespodcast sind der Ansicht, dass das Glücksspielsystem, welches in die zentrale Ressource eingreift, ein „Pay 2 Win“-Kriterium erfüllt. Das sei immer dann gegeben, wenn es zumindest in die zentrale Ressource des Spiels eingreift. Zum Beispiel stellt in Hearthstone die zentrale Ressource Zeit dar. Durch erheblichen Geldeinsatz ist hier ein beachtlicher Zeitgewinn möglich. Zusätzlich greift dieser Geldeinsatz in Form von neuen Karten beträchtlich in den Skill des Spielers ein.
Wenden wir diese Ansicht auf „Schatten des Krieges“ oder auch neue EA-Spiele, wie „Fifa UT“ und Battlefront 2 an, sieht die Zukunft alles andere als rosig aus. Dasselbe gilt im Übrigen für Battlefield und mittlerweile auch Call of Duty. Selbst für Modern Warfare Remastered.
Erste kritische Gedanken kommen zudem aus der Mainstream-Presse. Johannes Rohe, Redakteur bei der Gamestar, argumentiert in seinem Meinungsbeitrag zum Lootboxsystem in Battlefront 2:

„Wer sein perfektes Kartenset beisammen hat, ist Anfängern eben nicht mehr nur im Skill, sondern auch spielemechanisch durch bessere Werte überlegen. Was bleibt Späteinsteigern also, wenn alle anderen Spieler schon perfekt ausgerüstet sind? Sie können sich Lootboxen für echtes Geld kaufen und so wenigstens teilweise zu den Profis aufholen.“ 

Auf kurze Frist aber, ist hier keine Änderung zu erwarten. Das rührt beispielsweise auch von der kürzlich veröffentlichten Stellungnahme der in den USA ansässigen Jugendschutzorganisation ESRB (Entertainment Software Rating Board). Sie sind der Ansicht, dass Lootboxen nicht als Glücksspiel zählen. Die Organisation begründet Ihre Ansichten in einer Mail an die Redaktion von Kotaku.com wie folgt: Lootboxen haben zwar ein Zufallselement, der Spieler enthält aber stets Ingame-Inhalt, selbst wenn er etwas bekommt, das er nicht will. Es ist wie bei den Sammelkartenspielen: Manchmal bekommt ihr in einer Packung die brandneue folierte Karte die ihr schon lange wolltet und manchmal eine Packung voller Karten, die ihr bereits besitzt.

So schreibt die Unterhaltungs-Software-Kontrolle in einer Mail: "Glücks- und Gewinnspielelemente (im Internet) werden in Deutschland bisher prinzipiell nicht im Rahmen einer Jugendschutzvorgabe geregelt, sondern durch den Glücksspiel-Staatsvertrag (GlüStV) und den Rundfunkstaatsvertrag (RStV) reguliert. Als Glücksspiel gelten nur solche Spiele, bei denen der Spieler gegen ein Entgelt eine Gewinnchance erwirbt und der Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die von Ihnen angesprochenen Lootboxen, einarmige Banditen oder ähnliche Gewinnspiel-Modelle, die gegen ein Entgelt ein zufällig generiertes Item vergeben, gelten nach üblicher Auffassung bisher nicht als Glücksspiel. Eine Gewinnausschüttung im gesetzlichen Sinne des 'Glücksspiels' ist bei den meisten Spielen unwahrscheinlich. Entscheidend bei dieser Definition ist, ob man Geld gewinnen kann - nicht ob man etwas einsetzt, was man ohnehin nicht wiederzurücktauschen kann."


Daher bleibt die Frage: Was können wir Spieler gegen diese Entwicklung unternehmen? Oder sollten wir diese Mechanismen als Teil der Spielentwicklung und als notwendige Geldquelle der Entwickler akzeptieren?
Die Antwort ist vielschichtig. Ich für meinen Teil habe nicht selten an die gute alte Zeit der „echten“ DLCs gedacht. Denn, auch wenn da viel Mist dabei war, hatte ich wenigstens die Wahl auf diesen zu verzichten. Und diese Wahl wurde mir ohne mein Einverständnis genommen.
Zumal Mechanismen, die mich nach einer finanziellen Vorinvestition zum Geld ausgeben bringen wollen, von vornherein abzulehnen sind. Aber zumindest eine Reglementierung dieser Mechanik ist mittlerweile unabdingbar. Das sollte auch der Deutsche Staat so sehen und dieses „Internet“ nicht noch immer stiefmütterlich behandeln.