In der Struktur der Videospiele muss sich etwas ändern, damit diese im Feuilleton besprochen werden können. Zu dieser Überzeugung gelangte Nicolas Freund, Autor der Süddeutschen Zeitung. Autoren von Games, die hinter den Publishern versteckten würden, seien nicht klar identifizierbar. Somit könne auch kein öffentlicher Diskurs stattfinden. Aber stimmt das denn?
Spiele zu kreieren ist eine der komplexesten Arten Kunst zu erschaffen. Nicht nur wird die Welt „erlebbar“. Sie muss von Grafikern gestaltet, von Programmierern interaktiv und von Audioexperten hörbar gemacht werden. Doch es braucht auch eine treibende Kraft, um die Narration, also die Erzählung, und Glaubwürdigkeit in einem Spiel und dessen Spielwelt herzustellen. Und das ist der Autor eines Computerspiels. Wolfgang Walk ist einer dieser Games-Autoren. Er ist verantwortlich für die kreative Vision der Geschichten von „11-11 Memories Retold“, „Phoning Home“, sowie der Berater bei dem von Kritikern gelobten „Shadow Tactics: Blades of the Shogun“. Er beschreibt das Anforderungsprofil eines Games-Autoren als ein völlig anderes, als das eines Buch-Autoren oder auch Drehbuchschreibers. Walk erklärt:
„Das entscheidende ist, dass letzten Endes das, was rauskommt, etwas mit dem Spiel zu tun hat. Das heißt das, was ich tue, hat etwas mit der Geschichte zu tun und die beiden kommen sich nicht ins Gehege.“
Die Anforderungen für Buch-Autoren sind nämlich mit anderen Gegebenheiten verknüpft, führt Walk weiter aus. So erklärt er, dass das gedruckte Wort die schwierigste aller darzustellenden Ebenen sei. „Der Spieler muss aus abstrakten Zeichen Zusammenhänge höherer Zeichen, die auch noch abstrakt sind, verstehen. Also aus B-A-U-M wird Baum. Und wenn er das liest, dann stellen sich 1 000 000 Spieler 1 000 000 verschiedene Bäume vor.“ Dabei besteht die Gefahr, dass die Darstellung nicht, wie vom Autor gewünscht, verstanden wird. Als Autor eines Buches habe man noch Zeit den Baum zu beschreiben. Die Größe, das Aussehen, die Umgebung und die Wetterbedingungen, in denen der Protagonist auf das Element „Baum“ trifft. „Dafür habe ich im Computerspiel gar keine Zeit. Da stelle ich den Baum eben als Grafik hin. Und dafür brauche ich die Grafiker“, sagt Walk.
Er ist sich sicher: Es ist unabdingbar sich als Games-Autor mit den Grundlagen des Game-Designs auszukennen. Das sieht auch Drehbuchautor und Geschäftsinhaber, sowie Gründer der Bumm-Film GmbH aus München, Tommy Krappweis, so. Er führt weiter aus: „Ein Autor würde erstmal Figuren, Konstellationen und Geschichten erfinden und diese niederschreiben. Wenn man das für einen Film macht, ist das eine andere Art von Arbeit, als für eine Fernsehserie oder für ein Game. Für einen Film ist man anderen Regeln unterworfen.“ Das wird auch deutlich, wenn man sich die Aussagen von Walter Mosley, dem Bestseller-Autor von Romanen wie „Little Green: An Easy Rawlins Mystery“ oder „The Long Fall“ genauer ansieht. In einem Interview mit dem amerikanischen Autorenmagazin „Writer‘s Digest“ erklärte er: „Es ist schwer Dinge, wie das Setting von Charakteren, oder sogar dem Wetter, zu trennen. Es geht nur um die Beschreibung. Du beschreibst alle Dinge von Anfang an bis zum Ende und wie viel Energie du in die Beschreibung und die Umsetzung investierst. Das ist es, was diese Geschichten einzigartig werden lässt.“
Fernab dieser Beschreibungen arbeiten Games-Autoren näher am Werk. Daher sei es unabdingbar, sich auch mit der Fachthematik Spiele auszukennen und programmieren zu können. „Ich sollte wie ein Gamedesigner denken können und ich sollte scripten können. Nicht unbedingt High-Level programmieren wie C++ oder Assambly. Aber sich mit den grundlegenden Scriptsprachen auskennen. In der Unreal- oder Unity-Engine Dinge tun zu können, das ist schon sehr hilfreich als Autor“, erklärt Wolfgang Walk. Mehr Überschneidungen gibt es definitiv mit dem Berufsfeld des Drehbuch Autoren. Für diesen ist es laut Krappweis vor allem wichtig die Figuren glaubwürdig zu gestalten. Dabei gibt es besondere Fallstricke Es sei wichtig „…dass man sich in die Figuren hineinversetzen kann. Vor Allem so in die Figuren hineinversetzen kann, dass die Figuren auf dem Papier unterschiedlich klingen. Also so, dass ich wirklich merke, das sind verschiedene Personen. Dies scheint einigen Autoren Schwierigkeiten zu bereiten. Die klingen dann plötzlich alle gleich, nämlich so wie der Autor spricht.“
Für Games sind die Drehbuchautoren zwar nicht exklusiv interessant, aber Walk hält eine Kooperation aufgrund der filmischen Inszenierung vieler moderner Computerspiele für durchaus denkbar. Seiner Auffassung nach kann man den Drehbuchautoren „…in einem Games-Entwicklungs-Zusammenhang durchaus gebrauchen. Nicht unbedingt beim Entwerfen der Geschichte oder dem Einpassen in die Level. Aber wenn es hinterher darum geht, die Dialoge richtig gut hinzukriegen, dann ist ein geübter Drehbuchschreiber schon jemand, der da noch einiges an Qualität rausjucken kann.“
Laut Tommy Krappweis gibt es jedoch, gerade im Film, einen gewissen Aufbau, an den man sich halten kann, um passable Werke zu erzeugen. Dabei sieht er darin auch Probleme. „Es gibt einen bestimmten Aufbau und Blaupausen, an denen man sich orientieren kann. Diese sollte man aber variieren, damit es nicht vorhersehbar und langweilig wird.“ Jedoch würde eine gewisse Vorhersehbarkeit auch eine Art „Geborgenheit“ erzeugen, führte der Erfinder von „Bernd das Brot“ weiter aus. Demnach sei es ein schmaler Grat, auf dem der Autor wandere. „Es darf nicht so sein, dass es so banal ist, dass der Zuschauer schon weiß: „Ja klar, jetzt kommt das und jetzt kommt der Bösewicht, erzählt den ganzen Plan und jetzt schafft er es doch noch“. Es gibt bestimmte Regeln, an die man sich halten kann, wenn man das aber zu sklavisch tut, dann wird es banal“, schildert der Drehbuchautor. Dem Autor muss darüber hinaus nicht nur das Entwerfen der Geschichte gelingen, sondern er muss in die Erzählung eintauchen und diese Erzählung komplett durchdringen, um sie dem Team, egal ob Spiel oder Filmteam, glaubhaft näher zu bringen, findet Krappweis. „Es ist eben nicht mit dem Schreiben getan, sondern man sollte idealerweise Verhandlungsgeschick und soziale Kompetenzen mitbringen, um sein Werk besprechen zu können mit den vielen anderen Menschen. Nicht nur dem Regisseur, sondern auch mit dem Verleih und allen Menschen, die noch so dazukommen“, erklärt der 46-jährige.
Autoren im Computerspiel-Segment sehen sich der Herausforderung ausgesetzt, das Spiel nicht nur als Erzählung, sondern auch als narratives Erlebnis zu gestalten. Dazu gehören eben auch Grafik, Bewegung, Sound und das Gameplay, sagt Wolfgang Walk. Und dadurch, dass Spiele eben nicht nur eine Art des Geschichtenerzählens hätten, sei es umso wichtiger das Gameplay und die Story miteinander zu verheiraten. Er führt weiter aus:
Wir unterscheiden zwei verschiedene Arten der Story. Das ist einmal die sogenannte „embedded“ Story. Das ist die, die von einem Autor in das Spiel hinein gepflanzt wird. Und dann gibt es die „emergent“ Story. Die kann man nicht verhindern. Die „emergent“ Story entsteht im Kopf des Spielers, während er spielt.
Was passiert, wenn die Autoren nicht konsequent eine Vision in einem Spiel verfolgen, kann man an dem zuletzt beim Publisher „Rockstar Games“ erschienenen Titel „Red Dead Redemption 2“ ablesen. Walk sieht in diesem Spiel einen großen Widerspruch zwischen dem freien Gameplay und den Story-Missionen. Außerhalb der Geschichte habe man als Spieler viele Möglichkeiten der Gewalt aus dem Weg zu gehen. Doch in der Geschichte des Spiels gibt es dann plötzlich keine Möglichkeit mehr Konflikte friedlich zu lösen.
Dieses Phänomen benennt Walk als die sogenannte „Ludonarrative Dissonanz“, die eine Uneinigkeit der Geschichte und des aktiven Spielens in einem Computerspiel beschreibt. Walk kennt diese Problematik, sie trifft seiner Meinung nach aber zu oft auf zu wenig Verständnis der Verantwortlichen bei der Spieleproduktion. Er erklärt: „Das ist etwas, was mir häufiger begegnet als Autor. Sehr häufig sind es Budgetgründe. ‚Nee, das können wir nicht auch noch machen, wie kriegen wir denn den Spieler dazu. Wir müssten sonst zwei oder drei verschiedene Gameplays anbieten und das ist alles ganz schwierig. Im Zweifelsfall hat die Marketing-Abteilung die Entscheidung getroffen: Wir wollen jetzt auf einmal ein reines Shooter-Gameplay und jetzt baut das Spiel mit einem Shooter-Gameplay um. Das Ganze wird in den letzten acht Monaten implementiert, da steht bereits die halbe Geschichte. Dann ist kein Budget mehr da die Geschichte umzuschreiben und die ganzen Assets neu zu machen, also bleibt die alte Geschichte drin. Das Gameplay wird zum Shooter und dann hat man genau dieses Ding.“ Auch wenn man laut Walk den Autoren nicht unbedingt immer die Schuld an solchen Ergebnissen zusprechen sollte, ist er dennoch der Auffassung das genau diese Problematiken häufiger angesprochen werden sollten. Nicht zuletzt im Feuilleton. Denn für Computerspiele gilt die eigentlich sehr einfache Regel, dass „Gameplay“ auch „Story“ bedeutet.