Die Lootbox-Debatte. Kein anderes Thema beschäftigte die Spielelandschaft und Spielepresse im vergangenen Jahr mehr, als die Verkäufe in den Spielen, besser bekannt als „Beutekisten“. Wirklich abgeschlossen ist das Thema nach rund einem Jahr noch immer nicht. Zu komplex sind die Mechaniken, die sich mit der Spielebranche verzahnt haben. Zu schwierig sind die politischen Möglichkeiten des Zugriffs.
Nach Anfänglichen Pay to Win Vorwurf gegenüber Battlefront 2 und vielen Verbots-Diskussionen sind bemerkenswerte Fortschritte erzielt worden. Insbesondere dank dem Aufstand der Spieler.
Seinen Ursprung haben die Mikrotransaktionen, die heute nahezu in jedem Triple-A Spiel integriert sind, im sogenannten „Free to Play“ Genre. Und die Idee dahinter ist alles andere als schlecht: Spielspaß ohne Geld auszugeben. Die Folge aus diesem erfolgreichen Geschäftsmodell war aber eine andere. Die Mechaniken und die Art, Geld in einem Spiel zu verdienen, wurde kopiert.
Spiele wie Dead Space, insbesondere der dritte Teil waren die Folge. Jim Sterling beschreibt dieses Phänomen als sogenannte „Fee to Play“-Spiele. Also Games, die für den Vollpreis im Laden stehen, aber daraufhin designt worden sind, den Spieler zum Geld ausgeben zu nötigen.
„Die Spiele stellen die Geduld des Spielers so lange auf die Probe, bis er einknickt und das Geld ausgibt. Danach fängt das ganze wieder von vorne an“, erklärt Sterling in seiner Show „Jimquesition“. Bei dem Beispiel von Dead Space 3 waren es mehr als 50 Dollar auf über 11 DLC Packs verteilt.
Die weitere Folge dieser Entwicklung stammt vor allem von EA. Nach dem etablierten DLC-Markt, insbesondere in der Mass Effect Reihe startete EA Sports die Ultimate-Team Modi innerhalb ihrer Sportspiele. Das Konzept war simpel. Was bei Kartenspielen mit Booster-Packs funktioniert, lässt sich mit virtuellen Karten von Sportlern ebenfalls gut umsetzen. Insbesondere wenn man die Lizenzen besitzt.
Das belegen auch die Absatzzahlen von Electronic Arts. Alleine im vierten Quartal des Jahres 2017 liegen die Umsatzzahlen für digitale Güter insgesamt bei rund 1,5 Milliarden Dollar. Das entspricht etwa 1,25 Milliarden Euro.
Die Folge: Die sogenannten „Sammelkarten“ tauchten seitdem in immer mehr Spielen auf. Zuerst vereinzelt, dann aber nahezu in jedem Spiel. Vor allem nach den großen Erfolgen von „Overwatch“, „Forza Motorsport 7“, „Battlefield“, „Call of Duty“, „Need for Speed“, das zurecht gescholtene „Mittelerde: Schatten des Krieges“ und natürlich das Spiel, das die Debatte zu überkochen gebracht hat: „Starwars: Battlefront 2“. Allerdings haben die Meisten der Spiele, insbesondere Mittelerde, Need for Speed und auch Forza die Lootboxen wenn nicht entschärft, wie die beiden Rennspiele, sondern zum Teil per Patch komplett entfernt (Mittelerde). Nachdem sich die anderen Spiele darauf verständigt hatten in ihrem Mehrspielermodus keine spielrelevanten Fortschritte durch die Lootboxen zu ermöglichen, sondern sich auf rein kosmetische Items zu beschränken, ging „Battlefront 2“ diesen einen Schritt weiter.
Bereits vor seinem Release am 17. November 2017 war klar: Star Wars: Battlefront 2 rückte die Lootboxen als zentrales Progressionssystem in den Mittelpunkt. Neue Charaktere, neue Waffen und Upgrades durch besondere Karten. Alles war an die zufallsabhängige Chance beim Öffnen solcher Boxen gekoppelt. Die Folge: Eine Spielzeit von mehr als 4,500 Stunden war vonnöten, um alle im Spiel enthaltenen Objekte freizuschalten, ohne dabei echtes Geld zu investieren. Eine Zumutung. Nicht nur für die Spieler. Der eigentliche Knackpunkt: Das Spiel war von der Unterhaltungssoftwareselbstkontrolle (USK), und der Pan European Game Information (PEGI) ab 16 freigegeben worden. Das „Entertainment Software Raiting Board“, zückte gar ein Rating T, was einer Freigabe ab 13+ gleich kommt. So war dem Spiel mit dem Zufall, dem Glück und auch dem Echtgeld für Jugendliche Tür und Tor geöffnet worden. Ganz heimlich still und leise. So zumindest der Plan des Publishers Electronic Arts.
Sie hatten aber nicht mit Chris Lee, Mitglied des Repräsentantenhauses von Hawaii gerechnet. Er bezeichnete das Spiel bereits kurz nach dem Erscheinen als:
„ein Online Casino für Jugendliche – und eine Falle“
Viel Zustimmung und ein gigantischer Shitstorm gegen Electronic Arts und Entwickler Dice folgte. So medienwirksam, dass sogar Starwars Rechteinhaber Disney die Battlefront Entwickler dazu überredet haben soll, die Mikrotransaktionen wieder aus dem Spiel zu nehmen, wie das Wall Street Journal berichtete. Zwar nur vorübergehend, doch unter besonderer Aufmerksamkeit der Pressevertreter. Die daraus entsponnene Diskussion über „Glücksspiel in Computerspielen“, erreichte nicht nur, aber mitunter auch Deutschland. Die Geschichte des „Mannes, der über 10 000 Dollar in Mikrotransaktionen verloren hat“, wurde populär.
Im Interview mit uns erklärte der 19-jährige, der unbekannt bleiben möchte, er „konnte einfach nicht anders“. Seine Freunde hätten dieselben Spiele wie er gespielt, und um wettbewerbsfähig zu bleiben zwang ihn das Spiel zu Investitionen. Ein Nebenjob und ein Zweitjob seien die Folge gewesen, damit er sich die Anerkennung und den Spielspaß mit seinen Freunden weiterhin leisten konnte.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Die Christlich Soziale Union (CSU), sowie die Freien Wähler (FW) stellten in Bayern Eilanträge, sich mit dem Thema „Lootboxes“, von den Politikern Beutekisten genannt, zu befassen. Die Sozialdemokraten forderten in Ihrem Antrag: „Die Staatsregierung wird aufgefordert, dem Landtag schriftlich und mündlich zu berichten, wie sie den zunehmenden Einsatz von offensichtlichen Glücksspielelementen in Computerspielen jugendschutzrechtlich bewertet, welche konkreten Suchtgefährdungen von Kindern und Jugendlichen sie erkennt und welche gesetzgeberischen Handlungsmöglichkeiten und Handlungsaufträge sie sieht: mit Blick auf das Jugendschutzgesetz, auf die Leitlinien für die Prüfung und Altersfreigabe durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und mit Blick auf den Glücksspiel-Staatsvertrag (GlüStV).“
Die Welt am Sontag zitiert den Vorsitzenden der Jugendschutzkommission indes mit den Worten „dass Lootboxen gegen das Verbot von Kaufappellen an Kinder und Jugendliche verstoßen könnten.“ Der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek bezeichnet Lootboxen als "1a Glücksspielmechaniken". Der Spieler setze Geld ein, er habe jedoch keinerlei Einfluss auf den Inhalt der Kisten, und ein "geldwerter Vorteil" - so lautet die rechtliche Definition - sei der versprochene Gewinn in den Boxen allemal. Laut einer unveröffentlichten Studie der Universität aus Hamburg hätte der CSU-Politiker mit seiner Einschätzung recht. Die Wissenschaftler der Studie schreiben:
„Für den Großteil der Lootbox-Umsätze in Videospielen ist demnach oft eine sehr kleine Gruppe innerhalb der Spielerschaft verantwortlich. Während die meisten Spieler also gar nichts zahlen, verprassen wenige Personen riesige Summen für die digitalen Zusatzinhalte. Das sei ein typisches Merkmal von Glücksspielmärkten.“
Auch der schwedische Minister für die öffentliche Verwaltung, Ardalan Shekarabi, hat angestoßen, dass die Behörden einen genaueren Blick auf die Lootboxen werfen. Shekarabi erklärt: „Wir arbeiten daran, die Kontrolle über den Glücksspielmarkt so schnell wie möglich wiederlangen zu können, und möchten sicherstellen, dass die schwedischen Verbraucherschutzvorschriften für alle am Glücksspiel beteiligten Akteure gelten.“ Seiner Einschätzung nach können Lootboxen in Videospielen durchaus als eine Art Glücksspiel angesehen werden, bei dem die Spieler Geld verlieren. Deshalb sollte untersucht werden, ob Lootboxen tatsächlich als Glücksspiel eingestuft werden können. „Offensichtlich gibt es viele Leute, die in einem Spielmissbrauch feststecken und bei dieser Art des Glücksspiels enden und Geld dabei verlieren.“
Das verdeutlicht auch ein Bericht von Motherboard Vice. Hier beschrieb ein Spieler den „fast magischen“ Moment, wenn er eine neue Kiste öffnete:
„die langsame Enthüllung, das sanfte Glühen, die Optik, wenn der Loot aus der Box explodiert, das goldene Licht für ein paar Frames“.
Diese Präsentation würde ihn dazu animieren, immer mehr Geld auszugeben. Doch der Rausch, den Spieler fühlten, wenn sie eine neue Box öffneten oder ein seltenes Item gewannen, hielt nie lange an. Stattdessen wurde das Hochgefühl schnell von „Reue und Schamgefühl“ abgelöst. Irgendwann sei dem Spieler „richtig schlecht“ gewesen, sobald er sich einloggte. „Damals wachte ich auf, erkannte, was ich getan hatte, überprüfte mein Konto und wollte mich übergeben.“ Der Psychiater Richard Freed erklärte in einem Interview mit Motherboard Vice, „dass Glücksspielsucht und Videospielsucht dieselben persönlichen Konsequenzen haben können wie Drogenmissbrauch. Auch Verhaltensmuster können süchtig machen", veranschaulichte Freed.
Verschiedenste psychiatrische Studien würden belegen, dass Spielsucht dieselben Bereiche im Gehirn ansprechen würde, wie es auch bei Drogen- oder Alkoholsucht der Fall sei. In der Süddeutschen Zeitung fordert Thomas Jarzombek „Es muss transparent sein, was im Karton drin ist“. Und genau diese Forderung scheint sich durchzusetzen: Die US-amerikanische Regulierungsorganisation für Videospiele ESRB will künftig alle Spiele mit Sticker kennzeichnen, in denen Mikrotransaktionen vorkommen. ESRB-Präsidentin Patricia Vance erklärte im Gespräch mit Kotaku, dass diese vor allem als Orientierung für die Eltern gedacht seien: "Eltern brauchen einfache Informationen. Wir können sie nicht mit Details überfordern." Die Lootboxen werden also geprüft und werden sich zwangsläufig durch die Politik verändern. Doch während für diese Art der Monetarisierung noch immer nach Lösungen gesucht wird, hat das Glücksspiel nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Spiele Einzug gehalten. Die Rede ist vom sogenannten „Skingambling“.
Einer der sogenannten „Skingambler“ ist Christian W. Seit zwei Jahren spiele er im Internet und handle mit virtuellen Waffentarnungen aus „Counter Strike: Global Offensive“. Bis heute hat er dabei rund 1200 Euro verloren. Auf Steam können Spieler die Lootboxen für Centbeträge kaufen. Die Schlüssel dafür kosten durchschnittlich 2,20 Euro. Beim Öffnen der Kiste wird per Zufallsprinzip ein Skin ausgewählt – mit ein wenig Glück erhält der Spieler einen seltenen Skin, der hunderte Dollar wert ist – mit Pech nur einen einfachen Skin mit einem Wert unter einem Dollar.
Die virtuellen Waffen können aber auch einfach direkt bei Steam gekauft werden. Auf Drittanbieterseiten können Spieler Skins kaufen, aber auch ihre eigenen Skins verkaufen. Diese gibt es in einer großen Preisspanne. Zum Verkauf stehen etwa laut Produktbeschreibung ein „fabrikneues“ Klappmesser für gut 131 US-Dollar oder ein „einsatzerprobtes“ und „mit lebhaften arktischen Farben lackiertes“ Sturmgewehr für gut 7 US-Dollar. Alexander Hugo, 21, hat eine besonders wertvolle virtuelle Waffe: ein Scharfschützengewehr mit Drachenmuster. Der Wert liegt bei 1.000 Dollar. Das Gewehr sei deshalb so begehrt „weil es besonders schön aussieht und sehr selten ist“, erklärt Hugo. Außer der Optik böte es im Spiel keinerlei Vorteile. „Ein reines Statussymbol“, meint er.
Die „Taz“ schrieb: „Einem Report des kalifornischen Forschungsinstituts Eilers & Krejcik Gaming zufolge würden im Skin-Wetten-Markt dieses Jahr rund 7,4 Milliarden Dollar umgesetzt“. Das sei zwölf Mal mehr als die Summe, die die etablierten Anbieter von Onlinewetten und -kasinos wie bet365 oder Ladbrokes zusammen einnähmen. In Deutschland ist Glücksspiel für unter 18-jährige verboten, egal in welcher Form. Doch während Lotto und andere Glücksspiele streng reguliert sind, ist das Internet eher vergleichbar mit dem wilden Westen. Wer mit seinen Skins Glücksspielen will, muss sich mit seinem Steam-Account auf Drittanbieter-Seiten anmelden. So registrieren sich Jugendliche in Sekundenschnelle auf diesen Seiten, ohne nennenswerte Altersverifikation. In einem Test von Sebastian Stange für die Gamestar, genügte das Setzen von einem Haken.
„Onlineglücksspiele sind, soweit sie im Ausland gehostet sind, sehr schwierig zu kontrollieren – dies gilt auch für andere rechtswidrige Inhalte, deren Server im Ausland stehen“, sagt Otto Vollmer von der FSM, der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Anbieter der Taz. Christian W. schilderte: „Wenn ich meine eingekauften Skins beim Zocken verloren hab, hat mich das irgendwann kaum noch geärgert. Ich bin abgestumpft. Aber das tolle Gefühl, wenn ich Skins gewonnen habe, das ist immer geblieben.“ Das Problem ist laut Glücksspielforscher Hayer: „Je früher Kinder und Jugendliche mit Glücksspielen anfangen, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie auch für Glücksspiele mit echtem Geld suchtanfällig werden.“
Das Wirtschaftsmagazin Bloomberg legte in einer Recherche im April offen, dass Valve von jedem auf dem Marktplatz Steam verkauften Skin 15 Prozent der Transaktionskosten erhält. Die Spieleranzahl von CS:GO steigerte sich innerhalb von zwei Jahren um 1.500 Prozent. Heute spielen 380.000 Leute weltweit zu jeder Zeit das Spiel gleichzeitig. Das ist es auch, was Cristian W. in die Sucht gezogen habe. „Weil viele Freunde von mir gegamblet und anfangs so viel gewonnen haben, wurde ich da auch hineingezogen. Wert war es die Sache aber nicht.“
Nicht nur, aber vor allem Kontrollen von Webseiten, sowie die Forderung nach mehr Medienkompetenz sei sinnvoll, um Kinder und Jugendliche vor der Gefahr der Glücksspielsucht zu schützen, erklärt der Onlinejugendschützer Vollmer der Taz. Jugendliche müssten zu mündigen Nutzern werden, vor Allem mit Unterstützung der Eltern und Schulen.
Mittlerweile haben sowohl die belgische, als auch die holländische Regierung Lootboxen verboten. In einem Artikel veröffentlichte die holländische Zeitung over de NOS ein interview mit der dortigen Glücksspielbehörde, die erhebliche Zweifel an der Unbedenklichkeit der Lootboxen hegt. "Die Lootboxen sind so konzipiert, wie Glücksspiele entworfen werden, nämlich mit dem Gefühl, dass man fast gewonnen hat", erklärt Marja Appelman, Direktorin der Gaming Authority." Es gibt alle Arten von Soundeffekten und visuellen Effekten, wenn Sie eine solche Loot-Box öffnen, so laufen sie Gefahr, dies immer wieder wiederholen zu wollen."
Das Öffnen der virtuellen Boxen ist dem Spielen mit einem einarmigen Banditen oder Roulette sehr ähnlich. Vor allem junge Menschen sind besonders gefährdet, weil sich ihr Gehirn noch entwickelt. Sie könnten schon früh spielsüchtig werden. Appelmann fordert: „Spielmacher müssen jetzt selbst Verantwortung übernehmen, um Kinder besser zu schützen. Ich appelliere an alle Spielefirmen, keine Loot-Boxen mehr für Kinder zugänglich zu machen und suchterzeugende Elemente zu entfernen.“
Dass diese Forderung sich wiederholten Torpedierungen ausgesetzt sieht, verdeutlicht die Herangehensweise von Steam in Belgien. Hier wurde der Zufallsprozess eine Instanz nach vorne versetzt. Spieler wissen nun also was sie bekommen, müssen aber für neue Items erst die Lootbox mit den schlechten Inhalten kaufen.
Es liegt also an den Spielern das Bild zu vermitteln, dass Glücksspiel nichts in Computerspielen zu suchen haben. Ansonsten sind die vergangenen Entwicklungen nur der Anfang.